Das jugoslawische Labyrinth

Literatursymposion 1995


Identität als Ambiguität. Ein Nachruf

Von Nenad Popovic

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Textauszug!

Krieg, das neue Reich der Eindeutigkeit

Jugoslawien gegen Slowenien, Kroaten und Slowenen gegen Restjugoslawen, Serben als Jugoslawen gegen Kroaten mit der Duldung von Restjugoslawen aber ohne Slowenen, Serben gegen Moslems und Kroaten als Bosnier, Moslems mit Kroaten gegen Serben, Kroaten gegen Moslems mit oder ohne Serben, Moslems gegen Moslems. Der äußere Betrachter sollte sich vom chaotischen Bild nicht täuschen lassen. Dieser Krieg ist eine Neuordnung der Diskurse.

Und das ist nichts Neues, es war schon so in den achtziger Jahren, während der Kosovokrise. Von außen sah man einfach eine brutale Repression. Demonstrationen, Streiks, Spruchbänder und Sprechchöre, auf der anderen Seite Knüppel, Maschinengewehre, Panzer. Das Resultat eindeutig: Dutzende von toten Jugendlichen, Schauprozesse, Zuchthausstrafen. Innen jedoch war all das bloß ein Aspekt eines komplizierten Diskurses aus staatsrechtlichen, ethnologischen, eugenischen, verfassungstheoretischen, historischen und linguistischen Kategorien. So gehörte die Autonome Provinz Kosovo rechtlich sowohl zur jugoslawischen Föderation als auch zur Republik Serbien. Von den Kosovo-Albanern wußte man nicht genau, ob sie gemäß dem internationalen Recht als eine Minderheit zu betrachten seien (die Mehrheit lebte in Albanien), oder, im Sinne der jugoslawischen Verfassung, als "Nationalität", was eine selbsterfundene Kategorie für Gruppen war, die man unterhalb von "Nation" und oberhalb von "Minderheit" angesiedelt hatte. Unklar war ferner, ob der Aufstand der Albaner unter der Parole "Dem Kosovo eine Republik" der legitime Anspruch der drittgrößten jugoslawischen Nation auf die eigene Republik war, oder ein raffiniert angelegter Separatismus – denn Republiken hatten das Recht, aus der Föderation auszuscheiden. Arbeiteten Irredentisten aus Albanien mit den Liberalen im Kosovo Hand in Hand? War die demographische Explosion der Albaner aus der Tatsache abzuleiten, daß Kosovo die rückständigste Region Jugoslawiens war, oder ist die Interpretation richtig, Albaner hätten durch ihre Vermehrung die ethnische Säuberung Kosovos von den Serben eingeleitet?



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