Walter Grond                              languages: french

Old danube house

2000, ISBN , 281 Seiten

Es ist nicht das erste Werk des 1957 in Aggsbach-Dorf in der schönen Wachau geborenen Walter Grond, in dem er die Errungenschaften moderner Technik literarisch verarbeitet. Schon 1999 erschien „Der Erzähler und der Cyberspace“, eine Sammlung von Essays zum Thema. Und einmal über anfänglich recht platt daherkommende Charakteristiken und über die ebenso wirkende Sprache, die Grond in diesem Roman verwendet, hinwegsehend läßt sich im Nachhinein die Euphorie verschiedener Buch-Vermarktungskonzerne, für die im Zusammenhang mit dem Erscheinen von „Old danube house“ gesorgt wurde, zumindest was den Inhalt betrifft, schon ein bißchen nachempfinden. Aber trotzdem: Muß der unerschrockene Jungphysiker, dieser Idealist, dessen Tod den Helden des Romans, den aus Holland stammenden Physikprofessor an der TU Wien, Johan Nichol, so schwer aus der Bahn wirft, daß er – es sei hier verraten – schlußendlich sogar seine Professur zurücklegt, unbedingt Nikola Sahli heißen? Nikola wie Nikola Tesla, Vorbild und Ikone aller Hobbyphysiker und Esoterikfreaks. Und dazu passend darf Johan Nichol´s bester Student natürlich auch kein „gewöhnlicher“ Hacker, sondern muß – wie Grond sich ausdrückt – ein Linux-Hacker sein, mit all dem Hype rund um das frei erhältliche Betriebssystem. Und überall müssen dann natürlich auch Linux-Pinguine herumstehen, fast schon erwartet. Der Tupfen auf dem i ist dann das Forschungsgebiet des Grond´schen Protagonisten: Er tüftelt an Quantenalgorithmen. Soll heißen: er forscht am Quantencomputer. Metaphorisch betrachtet eine einsame Spitze der Wissenschaft. Der Zeigefinger: Damit ihr´s alle wißt, dieser Johan Nichol ist ein Genie.

Wie auch immer. So jedenfalls führt Grond den Leser in eine Welt, die aus globalisierter Einigkeit und sterilen Happenings in alten Fabrikshallen besteht, eine Welt, in der sich die Leute in Mega-Unterhaltungskomplexen mit dutzenden Kinosälen treffen und schlußendlich eine Welt, in der man in einer gerafften Einfachsprache kommuniziert, die wohl den modernen Kommunikationsformen E-mail usw. entnommen sein soll, kurzum die moderne Welt, die Welt des Heute. Und justament in dieser Welt stürzt sich dieser besagte Nikola Sahli die Treppe der Bibliothek der Technischen Universität Wien hinunter. Für Johan Nichol, der für seine Studenten ein – wie er bemerken muß – Prometheus ist, der er eigentlich nicht sein wollte, ist das aber das auslösende Moment, um sich über sein, von Grond so stimmig geschildertes, Leben Gedanken zu machen. Da gibt es neben Nikola Sahli noch Nichol´s alte Jugendliebe, die russische Physikerin Katharina, Arnold Stadler, den Institutskollegen mit Hang zu Verleumdung und Mobbing, seine Lebensgefährtin Marina, ihrerseits ebenso auf Selbstfindungstrip und die Space Frontier Foundation, eine etwas zwielichtige Organisation, die Grond durch den Geist seines Protagonisten huschen läßt. Und dann gibt es da noch den Opernregisseur Faruk Karafani aus Sarajevo, den Nichol aufgrund welcher Umstände auch immer kennenlernt. Dieser lädt Nichol ein, mit ihm nach Bosnien zu kommen. Denn dort würde er alles über den aus Sarajevo stammenden Nikola Sahli erfahren.

Und eigentlich beginnt die Geschichte erst dort. Dort trifft man erstmals auf einen Hinweis, warum das Buch „Old danube house“ heißt und dort schildert Grond auch am dichtesten. Doch war die ganze Vorgeschichte vonnöten, um diesen Gegensatz – dort das Leben, in dem man sich Gedanken macht um seine Karriere, um das Finden des eigenen Ichs und so weiter und da ein Leben in postmortaler Kriegsstimmung voller Haß und Mißtrauen – heraus arbeiten zu können. Ein Leben voller Unverständlichkeiten. Diejenigen, die der Krieg oder die Armut der Leute reich macht und diejenigen, die resignieren. Und über allem die Bedeutung des Buchtitels an sich: Das alte Donau-Haus. Das Elternhaus, die Wurzeln des von Nichol so gejagten Über-Ichs Nikola Sahli. Das Vielvölkerhaus, in dem bis zum Krieg die Menschen verschiedenster Herkunft friedlich zusammengelebt haben. Und sollte es hier so klingen, dann klingt es richtig: Auch Grond läßt nie Zweifel aufkommen, daß mit „dem Krieg“ nicht unbedingt nur der Bruderkrieg Anfang der 90er gemeint sein muß. Vielvölkerstaat und Donaumonarchie hieß es auch damals, zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Aber auch damals funktionierte ein Zusammenleben im „Old danube house“ nicht. Schlußendlich jedenfalls findet Johan Nichol das, wonach er gesucht hat. Oder auch nicht. Jedenfalls erleichtert ihm das „Old danube house“, Sarajevo, die Armut, der Krieg, die Gegensätze und schlußendlich wohl auch die Affäre mit Nikola Sahli´s Halbschwester eine Entscheidung, die zu Beginn des Buches unmöglich gewesen wäre.

Es ist also so, daß sich „Old danube house“ hinterher als doch kein Roman für esoterisch angehauchte Physik-Liebhaber, Linux-Freaks und Besucher von sterilen Kinotempeln erwies, sondern als ein stellenweise – einmal abgesehen von der schon eingangs erwähnten Einfachsprache, die zwar für Dialoge recht passend sein mag, wohl aber als Erzählstil ziemlich platt wirkt – stimmig gelungener Beitrag zur Thematisierung der Technik mit Hilfe der Literatur. Denn: Die Gegensätzlichkeit, daß das Alltagsleben im beginnenden 21. Jahrhundert von nichts so diktiert wird, wie von Technik und sich diese Tatsache nicht in einer Diskussion, schlußendlich auch nicht in einer literarischen, widerspiegelt, kann naturgemäß nur ein – wie nicht nur Grond erkannt hat – Fehler sein. Und zwar einer, der im Endstadium zu Sprachlosigkeit führen könnte. Darüber hinaus gibt „das Moderne“, sprich all die Forschung und die High-Tech, eine glänzende Metapher ab, um einen Schritt weiter zu gehen und einen passenden Rahmen für die Befindlichkeit der sogenannten (reichen) Industriestaaten im beginnenden 21. Jahrhundert zu finden. So gesehen ist „Old danube house“ ein inhaltlich ansprechendes Stück Literatur. Bezüglich der Verpackung gilt jedoch das schon Gesagte. Und die eingangs erwähnte Tatsache, daß die großen Buchhäuser anscheinend einen Verkaufserfolg erwarten, widerlegt diese Meinung nicht unbedingt.

(Rudolph Baumöhler)
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