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PRESSE SPECTRUM 19. November 2000
Buch der Woche – eine Aktion von ORF, CA und der "Presse"

Warum ein Rucksack heute kein Rucksack mehr ist
ERTRUNKEN IN INFORMATIONSFLUTEN: WALTER GRONDS ROMAN "OLD DANUBE HOUSE"

Von Bettina Steiner

Vielleicht macht uns Walter Grond mit "Old Danube House" etwas vor. Vielleicht hat er noch nie eine House-Party besucht, kennt das Nachkriegs-Sarajevo nur aus ORF-Fernsehberichten, Moskau aus Bildbänden – und wie es bei einem Hacker-Treffen so zugeht, hat er teils dem "Spiegel" entnommen, teils sich selbst zusammengereimt.

Vielleicht sind also die vielen Szenen, mit denen uns Grond im neuen Roman vertraut machen will, nur Ergebnis von Phantasie und mehr noch von Medienkonsum, was bedeuten kann, dass wir auf all diese Beschreibungen nicht allzu viel geben sollten. Wahrscheinlicher aber ist ob der Fülle an Details: Grond ist wirklich bis nach Sarajewo und Moskau gekommen, hat dort viele Gespräche geführt, sich Notizen gemacht, nachrecherchiert und hat auch hierorts den Stift gezückt, wenn er ein "cool" oder ein "ultimativ" gehört hat.

Also: Wir dürfen uns belehren lassen und etwa lernen: was die Linux-Gemeinde will und kann; was einen Hacker von einem Cracker unterscheidet; warum ein Rucksack kein Rucksack mehr ist und wie man "Vogueing" am besten übersetzt. Zweitens: Wie man sich den Umschlagplatz der Zigaretten-Schwarzhändler in Moskau vorzustellen hat oder was eine Forscherin im postsozialistischen Russland umtreibt. Drittens: Was Bosnier von serbischen Nachbarn halten, wenn sich diese eine Sicherung ausborgen wollen; was sich hinter dem begriff "Rosen von Sarajewo" verbirgt; wo man hinfahren muß, will man in Sarajewo günstig CDs kaufen. Von Wien nach Moskau und zurück und von dort nach Sarajewo führt Grond seinen Helden auf der Suche nach neuen Perspektiven. Als seien diese Orte nicht exotisch genug, gibt es außerdem eine Schamanin samt zwölf Kerzen und einer toten taube, ein Treffen einer Studentenverbindung, bei dem sich saturierte Herren mit "Obelix" und "Herakles" anreden, einen esoterischen Supermarkt und eine "ultimativ" ausgeflippte House-Party im Wiener Industriehafen.

Alles sehr ausgefallen, zum Teil pittoresk, worüber man fast die Geschichte vergessen könnte, die uns Grond ja auch erzählen will. Es ist die Geschichte von einem Wiener Physik-Professor namens Johan Nichol, der an einem Quantencomputer forscht, bis er von seinen Linux-Begeisterten Studenten vom Selbstmord des esoterischen Kollegen namens Nicola Sahli erfährt, der aus Sarajevo stammte und Energie aus dem All abzapfte. Daraufhin beginnt Professor Nichol im Internet zu stöbern, was umgehend einen anderen Kollegen auf den Plan ruft, weil der vermutet, unser Held habe sich einer Sekte angeschlossen. Warum Nichol auf den Spuren des Eso-Physikers nach Sarajevo reist, wird nicht so ganz deutlich; allgemein könnte man diese Frage mit dem Schlagwort Midlife-Crises abwehren oder mit dem Hinweis, dass es auch für einen abgebrühten Rationalisten schwer ist, auf den Glauben an ein Leben nach dem Tod zu verzichten.

Jedenfalls lässt sich der Roman wie ein Krimi an, mit vielen Hin- und Querverweisen und seltsamen Verbindungen: Das ähnelt die Handlung eines Kult-Films der Hacker und Raver bis ins Detail der eines alten bosnischen Volkslieds; der tote Eso-Professor taucht in einem Internet-Spiel wieder auf; die Frau unseres Helden lässt sich in Sharm el-Sheik zum Sufismus bekehren, während im Internet ein Link vom Eso-Physiker zur Rubrik "New Sufism" führt; außerdem darf man darüber spekulieren, was es zu bedeuten hat, wenn der Held im Nachnamen Nichol heißt, während sein toter Kollege heißt, während sein toter Kollege den Vornamen Nicola trug.

Doch all diese Verweise führen nirgendwohin, leider auch nicht so konsequent in die Irre, dass man daraus ein Prinzip ablesen könnte. Letztlich verläuft auch die Krimihandlung im Sande. So sind wie von Schauplatz zu Schauplatz gestolpert, sind belehrt und unterrichtet, aber was sich bei all der Informationsflut nicht einstellen will, ist das Gefühl: einen Roman gelesen zu haben.


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