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Die Tageszeitung
Junge Welt (Berlin) 30./31.Oktober 2000


Sanitäter an der Bahre
Gronds Roman über ein altes Donauhaus geht leider den Bach runter
Von Axel Klingenberg


Der Quantenphysiker Johan Nichol ist sowohl privat als auch beruflich unzufrieden. Nachdem er von einem etwas obskuren Kongreß der "Space Frontier Foundation" in Moskau zurückgekehrt ist, erfährt er durch das Internet vom Tod des bosnischen Physikers Nicola Sahli. Durch sein Interesse an diesem, gelinde gesagt, unorthodoxen Wissenschaftler gerät er in den Bannkreis von Leuten, die sich an der Schnittstelle zwischen Physik (Computertechnik) und Metaphysik (Esoterik) befinden. Sahli forschte nämlich an einem Energie erzeugenden Perpetuum Mobile, womit die Naturgesetze auf den Kopf gestellt worden wären. Als ihm dies nicht gelang, scheint er den Freitod gewählt zu haben.
Auch Nichol ist sich bewusst, dass diese Idee nicht zu verwirklichen ist, aber er begibt sich für die Hintergründe zu interessieren. Gleichzeitig möchte er seinem Leben einen Sinn geben, weshalb er die Flucht nach vorn antritt und von Wien nach Sarajevo fährt, um dort das "Alte Donau Haus" zu besuchen, in dem Sahli gemeinsam mit anderen Menschen aus diversen Kulturkreisen aufgewachsen ist, bis der Krieg kam und solchen multikulturellen Träumen ein Ende bereitete. Hier lernt er die verschiedensten Leute kennen: einen Franziskanerpater, einen Moslem, eine Schamanin sowie einen Haufen von jungen Leuten, die sich mit dem (Über)leben in der Frontstadt arrangiert haben und aus Schrotteilen Roboter bauen.
Aus diesem Szenario wäre viel zu machen gewesen. Leider gelingt es Walter Grond nicht, eine wirklich mitreißende Geschichte zu erzählen, und das hat ganz banale Gründe, die vor allem in der handwerklichen Umsetzung zu finden sind.
Grond versucht, einen Schreibtstil zu finden, der dem Thema angemessen ist – er will modern klingen. Insbesondere versucht er, Anschluß zu halten an das, was in der Regel "Jugendsprache" genannt wird. Nichol nähert sich seinen Studenten an, die sich als Linux-Fans zu erkennen geben und ununterbrochen trendytrendy daherplappern: "Mußte in der Steinzeit dauernd auf die Straße. Meine makrobiotische Mama hat aus mir echt ein Telefonzellen-Kid gezüchtet. Ist allergisch gegen moderne Technologie, überhaupt gegen alles Neue (...) Hat uns vorm Telefonieren geschützt, die kulturelle Misere, Amerikanisierung und so. Mit vierzehn musste ich noch zum Münztelefon auf die Straße, ein echtes Gossenkind war ich, total bescheuert. War ein echter Fortschritt mit den Weltkarten später. Sammelten die wie verrückt, ganze Schubladen voll. Handys sind supergeil. Marcel besorgt mir das neue Nokia, bekomm es um 1000 Schilling, geb meins um 400 ab." So etwas schafft ein oder zwei Lacher, auf Dauer nervt es jedoch und wirkt so jugendlich wie Udo Lindenberg in der Fernsehwerbung für Produkte aus der Telekommunikationsbranche.
Außer um Computer und Handys geht es natürlich noch um Techno, wobei man beachten sollte, dass aktuelle Songs in der Popkultur sehr schnell überholt sind: der Hit von heute ist der Oldie von morgen, und Kruder und Dorfmeister waren schon gestern kalter Kaffee. Außerdem tauchen auch noch unvermittelt Päderastie und Snuff-Videos auf, und Nichol muß auf ein Treffen von Burschenschaftern und Alten Herren, wo diese sich natürlich als die rassistischen Arschlöcher erweisen, die sie bekanntlich auch sind – aber muß das so aufdringlich sein?
Am anstrengendsten zu lesen sind jedoch die Dialoge, an denen Nichtdeutsche beteiligt sind, denen Grond ausschließlich eine grottenschlechte Aussprache zugesteht – diese Klischees nerven auf die Dauer sehr.
Dem Lektor möchte ich vorsichtig ein "Hallo! Aufwachen!" ins Ohr flüstern: Eine Ortschaft, die sich nordwestlich von Berlin befindet, kann nicht an der polnischen Grenze liegen, in Hannover wird kein Berliner Dialekt gesprochen (ausgerechnet in der Stadt mit dem saubersten Hochdeutsch überhaupt), und Rotkreuzhelfer, die eine Bahre statt einer Trage benutzen, haben wohl auch in Österreich ihren Beruf verfehlt.
Am Ende des Buches ist der Leser etwas ratlos, denn unkoordiniert wird hier die Geschichte einer Beziehungskrise mit recht treffenden Milieuschilderungen verbunden. Grond weiß dabei durch ein beachtliches Detailwissen zu glänzen, trotzdem wirkt da vieles angelesen. Es ist zu vermuten, dass Grond Vergangenheit und Zukunft konfrontieren möchte, in der Absicht, ein Plädoyer für moderne Technologie und gegenseitige Toleranz zu halten. Diese Intention ist durchaus sympathisch, aber gut gemeint heißt eben nicht immer gut gemacht.

Walter Grond
Old Danube House
Haymon Verlag 2000


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