kunstraum.gleisdorf: Neue Räume


Mein kühles Extrazimmer
Von Martin Krusche

Vortrag anläßlich
"BIONIC ARCHITECTURE focus wood"
... am 15. Mai 2001,
im forum stadtpark, Graz

Es gibt eine Legende, die besagt, Intellektuelle würden Körperlichkeit fliehen und lieber im Kopf, also im Geist zuhause sein. Was gerade so schlüssig ist, wie die Annahme, ein Schuster würde nur in seiner Werkstatt leben wollen. Die landläufige Variante solcher Befunde polarisiert Wissen, das aus dem Kopf, und solches, das aus dem Bauch käme. Geist und Körper geradezu als Kontrahenten. Das Virtuelle und das Aktuelle als ein Entweder-oder. Entweder Kopf. Oder Bauch.

Die Geschichte des Faschismus bietet eine andere Facette von Existenzen, die man als überaus körperfeindlich beschreiben kann. Unsere ganze Kultur hat ein starkes Fundament, in dem der Typus "soldatischer Mann" als Leitikone etabliert ist. Dabei wird Raum als zu eroberndes Territorium fantasiert, wird der Körper im Hitler´schen Wunschbild vom windhundschnellen, lederzähen und kruppstahlharten Kerl inszeniert. Dasein in solchen Dimensionen fragt nur danach, wie belastbar der Mensch sei. Egal auf welchem Terrain. Wir haben gute Gründe, solche Menschenbilder zu fürchten. Deren Konsequenz ist eine Körperoberfläche, die "nicht ausreichend libidinös besetzt" wird. Die sich einen Muskelpanzer schafft, der verschließt, abtrennt, der das Weiche meiden läßt. Eine Ummantelung, die bestenfalls mit einem Bajonett aufgebrochen werden will.

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Kurios ist, daß einer der populären Gegenentwürfe solchen grobschlächtigen Menschseins uns zur Zeit aus der Unterhaltungsliteratur in der Gestalt des Hannibal Lecter gegenübertritt. Sinnenfreude, erlesener Geschmack, höchste Sensibilität, empfindliches Raumgefühl, Intuition und reiche ästhetische Erfahrungen. So ausgestattet fokussiert der überhöhte Kannibale fast alles, was man sich als Ausdruck menschlicher Aristokratie zusammenträumen mag. Würde Lecter nicht dazu neigen, Menschenfleisch zu verspeisen, man müßte ihn allein dafür wegsperren, daß er so übermenschlich kultiviert ist. Wer wollte mit so einem Monolithen schon zu tun haben, um dauernd in seinem Schatten herumzustehen?

Ein florentinischer Palazzo ist Lecter gerade gut genug, um seine Ansprüche an Lebensraum zu befriedigen. Ergänzt um den "Fantasiepalast", den er gerne aufsucht. Autor Harris führt dieses Motiv ein, wo sich Lecter an Gefangenschaft und weitgehenden Verlust von Selbstbestimmung erinnert. Damit wird eine alte kulturelle Fertigkeit angedeutet, die uns darauf hinweist, daß wir gelernt haben, aktuellen und virtuellen Raum zu verknüpfen, längst ehe es die neuen Informationstechnologien gab.

Ich zitiere: "Der Gedächtnispalast war ein den antiken Gelehrten wohlbekanntes mnemotechnisches System. Vielerlei Wissen wurde mit Hilfe dieses Systems während finsterer Zeiten bewahrt, als Vandalen Bücher verbrannten. ... Aber anders als seine antiken Vorläufer hat der Palast eine zweite Verwendung für ihn; manchmal lebt er in ihm. Er hat Jahre in dessen exquisiten Sammlungen verbracht, während sein Körper in einen Zellentrakt gebannt war, wo die Schreie die Gitterstäbe wie eine Höllenharfe zum Klingen gebracht haben." (Ohne Zweifel hätte Lecter so ein Stück Poesie besser hinbekommen als sein Autor Harris.)

Daß Kognition und Denkvermögen Körpergefühl und Raumwahrnehmung bedingen, halte ich für geklärt. Immer drückt sich der Leib aus. Warmer, blutender Korpus. Erster Ort unserer Erzählungen. Raum im Raum. Intimstes Terrtorium. Ankerplatz der Sinne.

...

(Textauszug! Volltext als RTF-File HIER.)
"Mein kühles Extrazimmer ~ Telenovelas"
(in "Heimat / Ein Container")


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