kunstraum.gleisdorf: Neue Räume


Leben ist Bewegung
(Subjektiviät, Raum und Identität)
Von Elisabeth List

Wer oder was ist ein Subjekt? Das Wort "Subjektivität" meint, in der Tradition der Subjektphilosophie nach Descartes und Kant, in erster Linie "Innerlichkeit". Ein solches Verständnis von Subjektivität liefert keinen Anhaltspunkt dafür, wie Raum und Identität zusammenhängen. Umgekehrt fragt auch der professionelle Planungsdiskurs in Architektur- und Raumplanung meist nicht nach der Präsenz der Verfaßtheit von Subjekten und ihren subjektiven Befindlichkeiten. Von beiden Seiten her - der Philosophie sowie dem professionellen Selbstverständnis der Raumgestalter - bleibt Beziehung von Subjektivität, Raum und Identität ungreifbar und ungedacht. Wie ließe sich eine gedankliche Verbindung herstellen, die sichtbar macht, daß die Formung von Identität sich in Räumen vollzieht, durch sie ermöglicht und begrenzt wird?

Subjektivität als Manifestation des Lebendigen.

Die Absenz der Dimension des Raumes in philosophischen Subjektkonzeptionen hängt damit zusammen, daß sie das Subjekt als ein vom Körper im wesentlichen unabhängige Seinsqualität fassen. Die Kritik an der philosophischen Vorstellung vom Vernunftsobjekt, daß sich seiner selbst durch Denken vergewissert, wie sie in der Tradition der Phänomenologie spätestens seit Merleau-Ponty formuliert sowie von den psychoanalytisch orientierten Poststrukturalistinnen, insbesondere aber von feministischen Theoretikerinnen vorgebracht worden ist, hat mit guten Gründen das Phänomen der Leiblichkeit, der Inkarniertheit von Subjekten zum Thema gemacht. Die Kritik an den intellektualistischen Positionen der philosophischen Tradition radikalisierte sich schließlich in der Proklamation des "Tods des Subjekts" - eine ebenso fatale wie unplausible Option. Eine aussichtsreichere Option wäre, Subjektsein und Subjektivität nicht über Innerlichkeit und Reflexivität faßbar zu machen, sondern über die damit schon stillschweigend vorausgesetzte Bedingung des Subjektseins - über das organische Lebendigsein.
Gedankliche Ansätze dazu bietet die theoretische Biologie der Zwanziger- und Dreißigerjahre, das heißt der biologische Diskurs vor der molekularbiologischen Wende - mit ihren Konzeptionen des Lebendigen, die ihre subjekttheoretischen Prämissen bei Kant in Bezug setzt zu einer Theorie des Organismus, wie etwa bei Jakob von Uexküll und Viktor v. Weiszäcker. Für die beiden genannten Theoretiker der Biologie sind es also gerade diese philosophischen Prämissen, die zur Grundlage einer Theorie des Lebendigen werden. Das Lebendige erscheint aus dieser Perspektive als eine Erscheinungsweise von Subjektivität "vor dem cogito", wobei das phänomenal fundamentalste Merkmal des so verstandenen Lebendigen spontane Selbstbewegung ist.
Man denke sich ein einfaches Beispiel: Angenommen, Sie gehen eines schönen Nachmittags in den Garten und sehen in einiger Entfernung an einem sonnigen Flecken eine Katze liegen. Sie werden annehmen, daß sie schläft oder ganz einfach die Sonne genießt. Wenn sie ihr bis auf einige Meter nähergekommen sind und sie rührt sich noch immer nicht, werden sie vielleicht stutzig werden. Wenn sie hören, daß sie leise wimmert, werden sie vermuten, daß sie schwer verletzt ist oder krank, so daß sie sich nicht mehr wegbewegen kann. Wenn Sie schließlich so nahe an Sie herangekommen sind, daß Sie sie berühren können, und sie bewegt sich noch immer nicht, auch dann nicht, wenn Sie sie anfassen, dann werden sie wissen, daß sie nicht mehr lebt.
Wenn es heißt: "alles was kreucht und fleucht" und damit die ganze lebendige Kreatur gemeint ist, so spricht daraus, daß auch der Alltagsverstand in der Fähigkeit zur Selbstbewegung das untrügliche Kennzeichen des Lebendigsein sieht, und er ist damit der Sache sehr nahe.
Selbstbewegung als Grundstruktur von Subjektivität manifestiert sich zunächst als Bewegung im Raum. Sie hat, wenn sie nicht unwillkürlich oder reflexartig zustandekommt, Aktcharakter. Sie ist Ausdruck von "Responsivität", d.h. der Fähigkeit, sich zur Umwelt zu verhalten. Aufgrund dieser Fähigkeit entwickelt sich schließlich, wenn die Fähigkeit zur Symbolisierung hinzukommt, eine Differenzierung der Wahrnehmung von Subjekt und Objekt, von Selbst und Anderem, die sich dialektisch entfaltet.
In diesem elementaren Sinn kommt Subjektivität schon den Tieren zu, die über ein komplexes Nervensystem und ein entsprechendes Orientierungsrepertoire verfügen. Spontanität und Responsivität - Antwortfähigkeit - sind die Grundstrukturen von Subjektivität. Anders gesagt: Subjektsein beginnt nicht erst mit dem Cogito, der Reflexion. Subjektsein bedeutet zuerst, was auch sonst immer, lebendig zu sein.



Subjektivität und Raum

Von hier aus kommt die existentielle Verbindung zwischen Subjektivität und Raum in den Blick. Eben weil sich Lebendigsein als Fähigkeit zur Selbstbewegung manifestiert, bedeutet Subjektsein immer auch im Raume sein. Dies ist ausdrücklich in Merleau-Pontys Analyse des Leibs als Medium des Weltbezugs mitgesagt. Leiblichkeit als Zur-Welt-Sein schließt das Im-Raume-sein notwendig in sich.
Das Zur-Welt-Kommen, wie Sloterdijk es nennt, beginnt nicht erst mit dem "Zur-Sprache-Kommen" , sondern mit der Bewegung zur Welt hin, mehr noch, die Bewegung des Lebendigen, in seinen Funktionskreisen von Nahrungssuche, Flucht vor Gefahren und dem Begehren des Anderen entfaltet sich diese Welt erst. Die lebendige Bewegung ist der Prozeß des Lebens, der Stoff des Seins. Die Bewegung des Lebendigen, seine Rhythmen und Zyklen erzeugen Konturen des "gelebten Raums". Als gelebter Raum ist unsere Welt das Ergebnis unserer Weise, sie in alltäglichen Lebensvollzügen als ein Gegenüber zu erzeugen. Eben das macht uns zu Subjekten, daß wir eine Welt "haben".
Wie wird aus dem gelebten Raum "gebaute Welt", der "Weltenbau", etwa die Welt der Metaphysiker oder Physiker, die Welt der Architekten? Darauf gibt der Verweis auf die Rhythmen und Zyklen des Lebendigen keine Antwort, ganz im Gegenteil: Die Topologie der metaphysischen Weltkonzepte, der mathematisch vermessenen und geometrisch konstruierten Räume sind Welten und Räume ohne Subjekt. Tote Räume? Das wäre zuviel gesagt. Denn es handelt sich um Gebautes, Konstruiertes, Erzeugnisse des zielgerichteten Tätigseins, freilich eines Tätigseins, das von den Koordinaten des gelebten Raumes abstrahiert, sich bestimmten Kalkülen durchaus subjektiver Formen der Aneignung von Realität unterwirft. Der aus ihnen sprechende Wille zur Bemächtigung, zur Aneignung des Raums durch Planung und Kontrolle präsentiert - und mißversteht - sich zugleich als Ausdruck von Objektivität, Rationalität und Universalität.
Vermessung, Planung und Konstruktion von Räumen, samt ihrer wissenschaftlichen, "objektiven" Orientierung sind, mit anderen Worten, gesellschaftliche Unternehmen, die politischen, wirtschaftlichen oder religiös-weltanschaulichen Zwecken dienen. Gebaute Räume, Paläste, Kirchen, Festungen, Städte sind die steingewordenen Effekte des Gesellschaftlichen, die Petrifikation sozialer Prozesse, deren festgefügte Realität soziale Ordnung produzieren und reproduzieren und den Raum für die Bewegungen des Lebendigen kanalisieren und begrenzen. Und zugleich damit sind es Festlegungen und Grenzen für die Manifestationen von individueller Subjektivität und für die Formung von Identitäten. [...]

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[Elisabeth List auf kultur.at]

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