martin krusches [flame] logbuch / blatt #71


Wer hat's erfunden?
Das Automobil ist ein Produkt zahlreicher Geister

Die letzten Jahre haben gezeigt, was Image- und Öffentlichkeitsarbeit kann. Bei vielfältigen Anlässen ließ Mercedes-Benz sich immer wieder unwidersprochen als "Erfinder des Automobils" darstellen. Keine sehr stichhaltige Aussage. Das unterlief aktuell etwa dem erfahrenen Journalisten Gerhard Nöhrer in der Kleinen Zeitung vom 7.11.14:

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Nun hat der Konzern herausragende Verdienste um den Automobilismus. Sein historischer Rang ist unbestritten. Auch gegenwärtig wird das Gewicht der Company eher unter-, denn überschätzt. Insider der Automobilindustrie erzählen einem, daß keine andere Firma so viel Einfluß zur Wirkung bringen kann, wenn etwa grundlegende Regelungen im Automobilbau verhandelt werden.

Es ist evident, daß Daimlers Motorkutsche und das dreirädrige Patentfahrzeug von Benz als erste moderne Automobile in die Geschichtsschreibung eingetragen wurden, genauer eigentlich als die ersten tauglichen Benziner. Zugleich muß geschichtsinteressierten Menschen klar sein, daß in diesen Vehikeln kulturelle Prozesse kulminieren, die von enormen Vorleistungen unzähliger Fachkräfte handeln.

(Kleiner Einschub: Schlagen Sie in einem Französisch-Wöterbuch den Begriff "Chauffer" nach. Sie werden überrascht sein. Das heißt auf Deutsch "Heizer".)

Der "pferdelose Wagen" beschäftigt die Menschen seit der Antike und seit der Renaissance wurde er, etwa durch Leonardo, greifbarer denn je. Von den Lokomobilen, wie sie vor allem in der Landwirtschaft Gebrauch fanden, war es im 19. Jahrhundert nicht weit zu Straßenlokomotiven; damit wäre natürlich von "Automobilen" zu reden, auch wenn diese Wortkreation ziemlich holpert: Selbstbeweger.

Der Techniker und Historiker Alfred Buberl ging dieser Geschichte nach, indem er sich nach "pferdelosen Straßenwagen" und "Selbstbewegern" umsah. Der Begriff "Kraftfahrzeug" schließt Muskelkraft aus, ist auf Maschinen als Kraftquellen gemünzt.

Von Dampfmaschinen wissen wir seit der Antike, im Zusammenhang mit Vehikeln wenigstens seit dem 17. Jahrhundert. Aufzeichnungen des Mönches Ferdinand Verbiest belegen, daß man damals gedanklich schon auf dem richtigen Weg war. Zu Fragen nach der Praxis gibt es keine brauchbare Quellenlage aus jener Zeit.

Wenn schon jemand als "Erfinder des Automobils" markiert werden soll, dann wäre das wohl der Artillerie-Offizier Nicholas Cugnot. Sein "Fardier" von 1769 war ein sehr passabler "pferdeloser Wagen", wie ein aktueller Nachbau beweist, den Unternehmer Alain Cerf realisieren ließ; siehe: [link]

Es fasziniert übrigens auch, ihn fahren zu HÖREN; siehe etwa: [link] Die Zuschreibung "Ungetüm" kann ich übrigens nicht nachvollziehen. Ich würde sagen: Das erste taugliche Automobil der Neuzeit war eben ein LKW.

Vergleicht man diesen Vorläufer des Automobilismus, den Fardier, direkt mit maßgeblichen Luxusautos zwischen 1910 und 1930, könnte einem auffallen, daß der Radstand bei PKW und LKW damals meist keinen wesentlichen Unterschied kannte und jenen des Artillerietraktors gar nicht so rasend viel unterschreitet.

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Hier steht der Fardier in meiner kleinen Sonderschau zum Thema "Geschichte der Lastwagen -- nachgestellt in Miniaturen" ganz vorne, vor einer Straßenlokomotive und einem dampfgetriebenen Lastwagen. (In einer Vitrine im Johann Puch Museum Graz.)

Zurück zur "Erfindung des Automobils": Daimler und Benz sind deshalb so prominent in unserer Geschichtsschreibung notiert, weil Siegfried Marcus an der Datierung seines legendären "Zweiten Marcuswagen" herumgestümpert hat, weshalb er bis heute auf dem Zeitpfeil nicht zweifelsfrei eingeordnet werden konnte.

Ich nehme an, das war damals nicht so wichtig; oder eben doch so langsam, da ja mehr und mehr patentrechtliche Fragen wirtschaftlich entscheidend wurden. Egal! Das muß uns hier nicht bedrücken. Vielleicht darf man all das ja ohnehin eher salopp betrachten.

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Apropos Marcus! Ich erhielt eben von Lisl und Heinz Mesicek eine Einladung, die den genannten Wagen zeigt. Das Siegfried Marcus Museum in Stockerau [link] wird heuer vom 22. November 2014 bis 29. März 2015 in einer Sonderausstellung die Geschichte der Steyr-Daimler-Puch AG und ihren Vorgängerunternehmen thematisieren.

Sehen Sie dazu auch die aktuelle Ausgabe der "Motor Veteranen Zeitung" der Österreichischen Gesellschaft für historisches Kraftfahrwesen, hier als PDF gratis downloadbar: [link] Dort finden Sie auf Seite 2 übrigens einen Beitrag von Stefan Reitgruber, der ebenfalls den Fragen nach den "ersten Automobilen" gewidmet ist.

P.S.:
Im Siegfried Marcus Museum heißt es: Bei uns ist fotografieren erwünscht!

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