martin krusches [flame] logbuch / blatt #87


Straße des 20. Jahrhunderts VI
Eine kleine Formengeschichte

Ich denke, die Massenmotorisierung Europas hat in Fiat und VW zwei Hauptakteure. Während die Italiener über zahlreiche Lizenzen ihre Kreationen unter anderen Logos laufen sahen, beispielsweise bei Lada, Seat oder Zastava, hielt VW den eigenen Namen sehr stark im Blickfeld, steckte aber dann auch in anderen Marken wie Skoda und in hochpreisigeren Fahrzeugen. An der VW-Geschichte kann ich ein interessantes Verlaufsschema demonstrieren.

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Volkswagen Typ 82 (Kübelwagen), die Kriegs-Box

Die Box stammt aus der Kriegsproduktion. Flache Bleche, das ging mit simpleren Preßwerkzeugen, hieß also billigere Produktion. Der Kübelwagen, den Ferdinand Porsche in seiner Distanzlosigkeit zu Hitler konstruiert hat, ist an schlichter Klarheit kaum zu übertreffen, also, tja, zu unterbieten.

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Volkswagen Typ 1, schon zu Beginn eine Retro-Maschine

Am KdF-Wagen, der nach dem Krieg zum "Käfer" wurde, hat dann augenscheinlich ein Aerodynamiker mitgearbeitet. Es war Erwin Komenda, der da sein Know how einbrachte und damit den internationalen Stromlinien-Boom aus dem 1934er Jahr weiterzeichnete.

Komendas Typ 60 von 1936 zeigt schon jene Annäherung an die Tropfen- bzw. Ei-Form, ist ein erkennbarer Proto-Käfer, dem übrigens der ebenso stromlinienfärmige Steyr Typ 50 ("Baby") von Jenschke weichen mußte. Die ausgestellten Kotflügel entsprachen dem gestalterischen Zeitgeist jener Ära. Dieser Käfer ist formal eigentlich ein Zeitgenosse des Steyr 100, welcher Mitte der 1930er als Stromlinienfahrzeug beworben wurde.

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Volkswagen Typ 3, der zu seiner Zeit zeitgemäße Ponton

Der VW Typ 1 hielt sich verblüffend lange und die Käfer-Nachfolge warf unglaublich weitreichende Debatten auf. So erscheinen weiterführende Designschritte zeitversetzt. Die Ponton-Form kam mit dem Typ 3 erst 1961 ins Programm.

Es gab ihn auch als Kombi und als reichlich kuriose Fließheck-Version mit einem rundlichen Hinterteil, das man selbst wohlmeinend nur als breiten Asch bezeichnen kann. Um so radikaler fiel in der Folge und im Kontrast dazu ein weitgehend vergessener VW aus.

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VW K 70 L (Foto: Ralf Roletschek)

Mit dem K 70 aus dem nämlichen Jahr (1970) wanderten Motor und Antrieb bei VW nach vorne. Dazu wurde damals bei NSU gewerkt und Claus Luthe, der Designer des Ro 80, hatte seine Hände im Spiel.

Ich erinnere mich noch, daß ich bei einem Schulausflug einer Lehrerin etwas angeberisch erklärte, was da vor uns stünde, denn der K 70 war bei uns so selten, daß ihn viele überhaupt nicht zuordnen konnten.

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Da ich den Golf schon gezeigt habe, hier ein früher Polo L

Mitte der 1970er flüsterten die Passate, Golfs und Polos etwas von harten Zeiten, in denen man mit Schärfe und etwas Sparsamkeit vorzugehen habe. Das sah man ihnen auch an. Zur Erinnerung, 1973 machten die Energiepreise im ersten weltweiten Erdöl-Schock schmerzliche Sprünge, 1979 folgte die zweite derartige Krise. Egal, viel Autos wurden bis heute merklich fetter und rundlicher.

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Totales Kindchen-Schema: New Beetle

Ein ziemlich merkwürdiges Beispiel dafür ist der New Beetle, in dem der Typ 1 paraphrasiert wurde. Man möchte fast meinen, wenn man ihn da sieht, er rieche im Betrieb nach Baby-Öl, so sehr hat da das Design auf das psychologische Kleinkind-Schema gesetzt. Statt dem Million-Dollar-Grinsen ein kindliches Lächeln.

Dieses Konzept kommt allerdings aus Kalifornien, wo Freeman Thomas und J Mays sich des Themas angenommen hatten. (Von Mays stammt übrigens auch der rundliche 2000er Thunderbird.)

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