martin krusches [flame] logbuch / blatt #98


Die exquisite Stangl-Puch

Im Johann Puch-Museum Graz war kürzlich ein Klassiker zu sehen, der vor Jahrzehnten mit jener Art von Abziehbildern beklebt wurde, wie sie mir aus meinen Kindertagen gut vertraut sind. Das Fahrzeug zeigt sich gewissermaßen zugleich als Vehikel und Reisetagebuch.

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Nein, kein neues Ausstellungsstück. Meine Arbeit bringt mich oft hinter die Kulissen. Das ist eine frühe Puch MS 50 mit spezieller Geschichte. Sie hat den zarten Rahmenbau der ersten Modelle und die markanten Halbnaben-Bremsen. (Beides wurde später stärker dimensioniert.) Etliche der "Pickerl", Souvenirs von der Turracher Höher, dem Brennerpass, von Mariazell oder der Großglocknerstraße, verraten uns, was die besondere Qualität dieses Mopeds war.

Es geht um die spezielle Bergtauglichkeit und die Langstrecken-Leistung. Man möchte gar nicht glauben, wie klein Zylinder und Kolben des robusten Maschinchens sind, aber dank der Gebläsekühlung ist der Motor äußerst standfest und den österreichischen Bergstrecken gewachsen.

Das sind einige Besonderheiten, durch welche dieses Fahrzeug zum Vehikel einer sozialen Revolution wurde. Die erste große Umwälzung solcher Art kam Ende des 19. Jahrhunderts mit dem ausgereiften "Niederrad" daher, jenem modernen Fahrradtyp, der die individuelle Mobilität revolutionierte.

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Das war bis nach dem Zweiten Weltkrieg die wichtigste Basis von persönlicher Massenmobilität, denn Automobile sind für große Teile der Bevölkerung erst in den 1960er Jahren erschwinglich geworden und auch Motorräder blieben eher hochpreisig, schwer leistbar.

Es mußte also viel gestrampelt werden. Fahrräder waren allerdings Wertgegenstände. Man hatte oft sein Leben lang ein einzelnes Exemplar. Als dann Verbrennungsmotoren nicht bloß klein, kompakt und leicht waren, sondern auch preiswert wurden, häuften sich Versuche, bestehende Fahrräder damit aufzurüsten. Das Ende des Strampelns?

Dieser Weg führte schnell an Grenzen der Fahrrad-Konstruktionen, verlangte nach neuen technischen Lösungen, die schnell verfügbar waren. Schließlich reagierte auch der Gesetzgeber, sorgte bei diesem jungen Kraftfahrzeugtyp für niedrige Kosten und Führerscheinfreiheit.

Es war dann genau dieses Modell unter den frühen Puch-Mopeds, das Geschichte schrieb und ab den 1950er Jahren Österreichs Straßenbild mitbestimmte, oft bis heute im Alltagseinsatz zu finden ist. Langlebig, robust, sparsam, einfach zu warten.

Das "Mopperl" hat einen Rahmen in Schalenbautechnik, war damals höchst innovativ. Dessen zarte Ausführung, die später deutlich massiver ausfiel, sorgte für den gängigen Spitznamen "Stangl-Puch" (von "Stange" abgeleitet). Der "Maurer-Bock", auch die "Schwarze Sau", wurde mit gelben Lack-Details überdies zum "Postler-Moped".

Nun ist das hier freilich keine beliebige MS 50. Da sie zu den ersten Baumustern zählt, stammt sie aus der Frühzeit unserer österreichischen Moped-Ära. Sie gehörte demnach jemandem aus eher bescheidenen Verhältnissen, denn wohlhabende Leute wären mit dem Auto oder mit einem Motorrad gefahren.

Die auffallenden Pickerl, bunte Reiseandenken, belegen, daß der Besitzer es genoß, unterwegs zu sein, seine Heimat zu erkunden. Man kann dem Moped, die Reiselust des Besitzer ansehen. (Wer mit Zug oder Bus reiste, dekorierte seine Koffer auf solche Art.)

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Johann Lafer (Foto: CC & GNU by Magnus Manske)

Nun sei noch erwähnt, daß sich diese Puch MS 50 heute im Besitz des renommierten Kochs Johann Lafer befindet, der das Moped von seinem Vater übernahm. Lafer läßt das Fahrzeug gerade überholen, wobei wir annehmen dürfen, daß es jetzt nicht neu lackiert, sondern in seiner historischen Substanz erhalten wird.

Es ist genau so, wie es hier steht, ein wunderbares Zeugnis jener Zeit, da Kraftfahrzeuge für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich zu werden begannen. Was uns heute selbstverständlich erscheint, war eine außergewöhnliche Möglichkeit.

Man möchte es nach bloßem Augenschein kaum glauben, mit so einer Stangl-Puch kann man höchste Pässe überwinden, kann sogar die Welt umrunden. Für die meisten Erwachsenen der 1950er Jahre war das eine sehr exquisite Vorstellung.

Wie erfreulich, daß Johann Lafer, der sich ganz andere Möglichkeiten erarbeitet hätte, Emotion zeigt, dieses feine und bescheidene Zeugnis einstiger sozialer Neuerungen zu konservieren und wohl auch gelegentlich zu fahren.

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Die Folgegeneration: Diese Puch MC 50 erzählt nicht mehr, wohin es ging,
sondern nur noch, daß es schnell gegangen ist

Die Einsitzer ist sozial- und kulturgeschichtlich interessant, weil dieses Bilder-Dekor die Kodifizierung einer speziellen Zeit und Situation darstellt. Eine Generation später haben Moped-Beklebungen nicht mehr Reiseziele gelistet, sondern eher Tempo und Brisanz des Motorsports simuliert. Das waren dann die 1970er.

Nächste Szenenwechsel: Die Enkel des Erstbesitzers werden sich beim Moped-Bekleben eventuell für sogenannte "Sticker-Bombs" entschieden haben, also flächendeckende Variationen der Werbebotschaften einer Konsumwelt, die sich dabei selbst zum Inhalt machte und schließlich sogar derlei Pickerl-Collagen simulierte, zum Kauf anbot.

Das heißt, letztlich mußten junge Leute dann gar nicht mehr selbst Pickerl sammeln und damit ihre Fahrzeuge dekorieren, der Handel bot gegen etwas Geld zum Beispiel eine "Sticker Bomb Comic Folie mit echten Logos" an.

Wer noch etwas drauflegt, erhält sogar bedienungsfreundliche "Aufkleber auf Hochleistungfolie (mit BubbleFree-Effekt für blasenfreies Verkleben) gedruckt". Ich hoffe, das macht deutlich, welche sozialgeschichtliche Markierung dieses Lafer-Fahrzeug darstellt.

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Und wovon erzählen Sticker Bombs? Nur von sich selbst. (Quelle: Wallpaper Stone)

Wir erfahren also beim Betrachten dieser fahrzeuge etwas über technische, soziale und gesetzliche Innovationen ab den 1950er Jahren. Lafers Einsitzer macht heute über sein Dekor, in dem das Stück einer konkreten Biographie abbildet wurde, mehr als deutlich, wovon damals der Mopedbesitz handelte.

Es was ein enormer Zuwachs an persönlicher Reichweite, ohne sich dabei auf dem Fahrrad abstrampeln zu müssen. Eigentlich hatte sich über dieses zarte fahrzeug, ob man es glaubt oder nicht, die Welt erschlossen. Die Kinder und Enkel jener Genration beklebten ihre Mopeds dann auch, aber mit völlig anderen Codes, anderen visuellen Erzählungen.

.-- [Geschichte des Mopeds] --
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