the long distance howl

The Long Distance Howl
Von Peter Karoshi

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Ich würde gerne eine Landkarte anfertigen können, die mich in Graz an meinem Rechner sitzend vorfindet und die Grenzen ziehen kann ... sie kann die Grenzen meines Landes ziehen. Mein Land – Jean Baptiste würde es „Heimat“ nennen – ist der Raum, den ich kenne (zu kennen glaube), der Raum um mich herum, dort, wo ich zum Bäcker oder zum Markt einkaufen gehe, aber auch weiter, wenn ich zu meinen Eltern fahre, unweit von Graz, wo ich aufgewachsen bin. Der Raum um mich herum, ist aber z. B. auch Wien, wo ich viele Freunde habe und das mich in meiner (wissenschaftlichen) Arbeit sehr beschäftigt. So wie diesen in sich, einer Insel gleichenden, abgeschlossenen Raum „Wien“ gibt es aber noch viele andere Räume, die ich immer wieder besuche (in einige kehre ich sogar zurück), Räume, die ich unbedingt bald wieder sehen muss, am besten in der nahen Zukunft, so wie z. B. Sarajevo oder Krakau.

Wie sieht mein Land also eigentlich aus? Ich müsste eine neue Karte erfinden: eine Karte, die die Grenzen meines Landes zeigen kann. Grenzen, die für mich bis nach Mexiko reichen, bis nach Albanien, woher mein Vater (und ich?) stammt.

Ich möchte also neue Grenzen meines Landes finden, die so überhaupt nicht mit den jetzigen Grenzen übereinstimmen. Damit meine ich vielleicht gar nicht so sehr Österreich. Manchmal ist mir Österreich sehr egal und ich blicke dabei nicht einmal von oben herab, wenn ich diesen Satz sage oder niederschreibe. Es entspricht aber, und das kann ich mit Bestimmtheit sagen, einfach nicht den Erfahrungen, die ich tagtäglich mache, dass ein Land solche festgesetzten Grenzen haben sollte, oder haben muss. Ein Aspekt der vor wenigen Tagen neuerlich manifest gemacht worden ist – und diesmal spreche ich wirklich über Österreich.

Ich müsste also neue Grenzen meines Landes finden, oder – meinetwegen – konstruieren. Diese Grenzen müssten aber durchlässig sein, weil sie sich ständig verändern, mit jedem Ort, den ich virtuell oder real besuche, müsste die Grenze erweitert werden -- vielleicht könnte ich unterschiedliche Ebenen einflechten, farblich abgestuft, die mir und anderen zeigen, wie weit sich mein Land erstreckt.

Wer weiß, was daraus entsteht ... ein dehnbarer Stern oder eine Darstellung der wichtigsten Informationskanäle dieser Welt ... jeder Punkt, der zu meinem Land gehört, zieht die Grenze mit sich, dehnt sie und hält sie fest -- und jeder Punkt ist in der Lage, neue Zentren zu bilden.

Ein Land wird durch seine Räume bestimmt, die Räume, die es umfasst – in den Gesprächen mit Martin Krusche sind wir eines Tages auf Landkarten zu sprechen gekommen. Und wir beide haben zuerst gedacht, dass die klassische Kartographie erst ab dem 19. Jahrhundert in der Lage gewesen wäre, Konzepte klar umrissener Territorien zu präsentieren. Diese Grenzen, und das haben wir übersehen, sind aber auch, v.a. wenn man in längeren Zeiträumen denkt, willkürliche Grenzen. In einem europäischen Fall, der sich als ein – vielleicht negativ konnotiertes – „Vorbild“ weltweit durchgesetzt hat, waren das nationalstaatliche Grenzziehungen, die sich hauptsächlich an Sprachgrenzen orientiert haben. Und wo keine eindeutigen Sprachgrenzen vorhanden waren, hat man sich halt durch Kriege oder Gesetzesbeschlüsse die Entscheidung abnehmen lassen. Diese Karten sind aber nicht mimetisch in dem Sinn, dass sie Realität oder Wirklichkeit abbilden können – das funktioniert vielleicht in einem eingeübten, unbewussten, Leseprozess. Eigentlich ist es eher so, dass sie Wirklichkeiten schaffen, vielmehr als sie abzubilden.

Es handelt sich dabei um, so haben es die Kulturwissenschaften in den letzten Jahren genannt, Mental Maps. Mental deshalb, weil hier ganz bewusst vom räumlichen Wissen des menschlichen Gehirns gesprochen wird ... was zur deutschen Bezeichnung der „kognitiven Landkarte“ geführt hat. Was also ist kognitives Kartieren?

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Dies ist ein Textauszug. Volltext als RTF-Datei HIER.

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