martin krusche: balkan buro / page #1

Nein, ich blicke nicht mit traurigen Augen nach Süden. Ich schaue über keinen Zaun. Ich sitze nicht im "besseren Haus". Ich vertrete einen Anspruch. Dieser kulturelle Anspruch verbietet es, "den Balkan" zu markieren und womöglich als ein "anderes Europa" zu deuten.

Sowohl meine langjährige Lektüre als auch meine praktischen Erfahrungen untermauern diese Position und meinen Anspruch. Der Anspruch besagt: Dies ist mein Europa. Ein weit größeres als das der Europäischen Union.

Ich stehe mit diesem Anspruch im Lager der Geschichte als einem Deutungsgeflecht, das seine Geschichten nicht über die gehabten Kriege erzählt. Die waren in der Feudalzeit kaum mehr als das Geschäft von Eliten, um ihre Existenzgrundlagen -- Land und Leibeigene -- zu vergrößeren. Hungern und bluten durfte dafür freilich stets der Pöbel, von dem ich abstamme.

Daran änderte sich kaum etwas, als bei uns in den 1930ern der Pöbel selbst sich zur Herrschaft aufschwang. Das waren bloß einmal mehr Männer in Stiefeln, die ihre eigenen Leute tyrannisierten und andere zu Untermenschen erklärten, um sie sich als Sklaven zu nehmen.

In den 1990ern erprobte Europa erneut die hohlen Phrasen der Nationalismen. (Wohlgemerkt, nicht bloß die Südslawen übten das, ganz Europa ereiferte sich darin.) Es wurde viel von Unterdrückung und Befreiung gesprochen. Das Blutvergießen sollte aber vor allem das Versagen der aktuellen Eliten vor dem Volk verschleiern.

Da ich selbst das Kind von solchen Barbaren bin, ein Insider des Faschismus, kann ich über diese stets neuen Betrügereien unter dem Mantel von Ideologien bloß lachen. Ich erkenne das Geschwätz, ganz egal welche Kosmetik daran geübt wurde.

Blicke ich als Österreicher nach Südosten, weiß ich eines mit Gewißheit: In den letzten zweitausend Jahren hat uns mehr verbunden als getrennt. In den Küchen, den Werkstätten, den Gärten den Bibliotheken und sogar in den Liedern kann man das überpüfen.

Ich eröffne mein "Balkan Büro" als einen gleichermaßen künstlerischen und praktischen Akt.

Ich habe dafür eine unscheinbare symbolische Geste gesetzt, eine Marke angebracht.

An der Tür der "Schock-Galerie" in der "ART klinika" in Novi Sad blieb ein kleines Büschel Heu zurück. [Full Size]

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Denken Sie daran, was mit Heu alles an Nützlichem gemacht werden kann, wie es Streu und Futter, Dach und Schirm sein kann, aber auch wie leicht ein einzelnes Bündel entflammt und wie dadurch ein Flächenbrand entstehen kann, der alles verschlingt, was er erreicht.

Wir sind wie diese Heubüschel und sollten daher achtsam mit einander umgehen.

Martin Krusche

[notes]


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2•10