kunst O.ST: zur debatte gestellt (seite #6)

Sind Kruzifixe sexy?
(Zwischen Information und Propaganda)

Geschäfte basieren auf wenigstens zweierlei Grundlagen. Auf Vertrauen und auf einem Leistungsaustausch. Es leuchtet mir völlig ein, daß Geschäftsleute für ihr Angebot werben müssen. Ich möchte damit rechnen, daß dann mein Vertrauen in ein Geschäft nicht enttäuscht wird, was nur gelingen kann, wenn beim Leistungsaustausch die Balance nicht beschädigt wird: Beide Seiten bekommen, was vereinbart war. (Wobei das Geld ein Medium ist, in das meine eigene Arbeitsleistung konvertiert wurde.)

Werbung dringt alltäglich in unser Leben ein, möglichst tief und mit möglichst intensiver Wirkung. Wie ist das bewerten? Vereinfacht und über den Daumen gepeilt darf vielleicht gelten: Was mich zu informieren sucht, halte ich für akzeptabel. Was mir den Eindruck erweckt, jemand möchte mich manipulieren, muß ich zurückweisen.

Nun handelt Menschenmaß freilich davon, daß man auch einmal Fünfe grade sein läßt. Der Alltag ließe sich ja nicht bewältigen, wenn alles mit Bedeutung überfrachtet werden würde. Reklame ist ein wichtiges Werkzeug der Wirtschaft. Doch sie sollte qualitativ von Propaganda unterscheidbar bleiben. Wie angedeutet, die Grenze zur Unterscheidung liegt (wechselhaft) irgendwo zwischen Information und Manipulation.

Ich verstehe Reklame außerdem nicht bloß als Informationsangebot, sondern auch als Entertainment, als ein Universum trivialer Erzählungen, die mir keineswegs mißfallen. Das zwanzigste Jahrhundert ist überdies durchzogen von Prozessen einer zunehmenden Wechselbeziehung zwischen Werbeindustrie und Kunst. Das drückt sich unter anderem in neuen Sprachschöpfungen wie „Creative Industries“ aus.

Gesamt legt mir das nahe, so manche Seite am Werbegeschehen zu genießen, über andere Seiten aber Debatten zu führen und dabei Einwände vorzubringen. Manche Phänomene sollten außerdem Anlaß zu konkreter Gegenwehr sein.

Ich denke, es läßt sich sehr gut unterscheiden, was als banal, als ärgerlich, und was als schädlich eingestuft werden darf. Ich lege hier zwei Kuriositäten vor, die meiner Einschätzung nach zwischen banal und ärgerlich changieren. Sie illustrieren allerdings eine Schlamperei im Denken, von der sich im Bedarfsfall auch härtere Grade ableiten lassen.

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[GROSSE ANSICHT]

Ein Gleisdorfer Juwelier versandte zur Adventzeit einen Katalog, in dem das Kruzifix als Schmuckstück angeboten wird. Es ist so sehr ein zentrales Motiv unserer Kultur, daß es in dieser Eigenschaft (und daher auch mit gewissem „Schmuckcharakter“) ebenfalls von Menschen angenommen, getragen wird, die sich selbst nicht für religiös halten.

Dagegen mag dieses offensive Aufladen des Kreuzes mit einem sexuellen Kontext zwar manchen Menschen für intime Momente reizvoll erscheinen, als öffentliche Waren-Inszenierung in einem Reklame-Medium und ausgerechnet während der Adventzeit ist es jedoch ziemlich skurril.

Sowas ist andrerseits nicht gar so überraschend, wenn man einrechnet, daß eine vergleichbare Skurrilität an anderer Stelle sogar unter bischöflicher Widmung vorkommt. So nachzuschlagen in der Broschüre „Grüß Gott! Die steirische KirchenInfo“, welche per Postwurf in die Haushalte kam.

Die Produktionskosten von Printmedien werden selbstverständlich oft abgemildert, indem man Inserate schaltet. Damit gibt man den Veröffentlichungen im günstigsten Fall auch einen zusätzlichen Informationswert.

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Daß aber unmittelbar nach den aktuellen Bankenkrachs, die unbestritten durch ein internationales Konzert der Habgier initiiert wurden, die Diözese genau solche Werbung schalten läßt, gibt eigentlich zu denken. Es ist übrigens genau jenes Motiv, welches ich zum Auftakt dieser Notizen als ein Beispiel für obszöne Phantasien vom Reichwerden aufgegriffen hab. (Siehe dazu den Eintrag Notiz #1!)

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Es gibt keinen Grund, die Prinzipien der freien Meinungsäußerung zu revidieren. Aber es gibt vielleicht gute Gründe, laufend (vor allem auch: öffentlich) kritische Debatten zu pflegen, der anästhesierenden Wirkungen mancher Werbemaßnahmen zu widerstehen, also wach zu bleiben und gelegentlich Einwände zu äußern.

Im Kontrast zu solchen Aktivitäten eine kuriose Plakataktion der Katholischen Kirche. Denn bei all den breiten Informationsflüssen scheint folgender Zusammenhang nicht mehr Allgemeingut in der Kenntnis der eigenen Kultur zu sein:

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>>Wien (KAP) Mit einer österreichweiten Plakataktion zu Weihnachten lassen die katholische Kirche und der heimische Außenwerbekonzern "Epamedia" im Dezember aufhorchen. Auf rund 2.300 Großplakaten und rund 600 "City Lights" soll in einfachen Worten die Frage beantwortet werden, warum wir überhaupt Weihnachten feiern.<< [Quelle]

(Ergänzend: Hier ein etwas wütend ausgefallener Kommentar zu Weihnachtsgrüßen, die offenbar im Zustande weitgehender Bewußtlosigkeit versandt werden: Krusches Log #1267.)


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