text #3

Kunst
Von Martin Krusche

Herr H. S. aus Gleisdorf hat sich derart über eine künstlerische Arbeit von Richard Kriesche geärgert, es ging um ein österliches Zeitungs-Cover als Parte-Zettel für Christus, daß er sich per Leserpost entrüstete und „Kunst" unter Anführungszeichen stellte. Das Werk habe seinen Geschmack verletzt. Bedauerlich! Um wen ging es dabei eigentlich?

Die heilige Schrift erzählt, daß Jesus ein Virtuose der Provokation war, daß er die Autoritäten seiner Zeit zur Weißglut gebracht hat, indem er gängige Konventionen kühn in Frage stellte und brach. Heute würde man sagen: „Selber denken statt nachbeten!" (Eigentlich zu komisch, daß ich als praktizierender Heide hier für den Nazarener spreche.)

So viel zu biblischen Aspekten, die Christus wohl eher auf der Seite der Irritierenden, Fragenden, Aufregenden stehen lassen als auf der Seite der Schreckhaften, denen Fremdartiges Unruhe verursacht.

Herr H. S. schrieb weiters: „Als Nichtkünstler versteht man halt zu wenig!" So ist es! Was einen nicht interessiert, bleibt einem fremd. Man wird es dann eventuell ablehnen, sogar abwerten. Selbstverständlich haben abertausende Nichtkünstler ein tiefes Verständnis von Gegenwartskunst. Es können auch Nichtmechaniker angeregt mit Profis plaudern, Nichtgärtner finden vielleicht zu großer Sachkenntnis über die Aufzucht seltener Orchideen und falls Sie mit einer Chirurgin über knifflige Fachfragen reden möchten, kann das spannend werden, soweit ihnen das Thema bisher nicht völlig wurscht gewesen ist.

Der springende Punkt ist also: Interesse, Wißbegier, Offenheit für neue Erfahrungen. Wer dagegen seinen Geschmack an der Kunst gerade erst an der Gründerzeit oder dem Jugendstil geübt hat, prächtige Epochen, dem fehlen augenblicklich leider hundert Jahre Kunstgeschehen, die sich inzwischen ereignet haben.

Manche glauben ja, das „moderne Zeug" sei „nix", aber etwa Gemälde von Leonardo würden sie verstehen und schön finden. Ach ja? Sie wissen also um die Bedeutung dieser oder jener Pflanze im Hintergrund? Sie kennen das Provokante am speziellen Faltenwurf der Kleidung? Ihnen ist die Symbolik in Leonardos Werken klar?

Vielleicht können wir das auseinander halten. Es steht allen Leuten frei, etwas schön oder „schiach" zu finden. Aber um Kunstwerke zu verstehen, muß man sich schon ein wenig aufraffen, sie verstehen zu lernen. Das verlangt Zeit und Muße. Zu anstrengend? Na, dann bleiben Sie ruhig vor Ihrem Fernseher sitzen.

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resethome
20•09