Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#18)

Über Gott, und in welches Licht die Bibel seine Existenz und

seine Eigenschaften rückt (a)


Die einzige Idee, die wir Menschen mit dem Namen "Gott" verbinden können, ist die

eines Urgrundes, eines Grundes für alle Dinge. Und so unbegreiflich und schwierig es

es zu verstehen sein mag, was ein Urgrund ist, so gelangen wir zu unserem Glauben daran

durch die zehnmal größere Schwierigkeit, nicht daran zu glauben.


Es ist unbeschreiblich schwierig zu begreifen, wie der Weltraum kein Ende haben

kann; aber es ist noch schwerer einzusehen, wie er ein Ende haben sollte. Es übersteigt

unsere menschliche Vorstellungskraft, die ewige Dauer dessen zu verstehen, was wir

Zeit nennen. Aber es ist noch unmöglicher, uns eine Zeit vorzustellen, in der keine

Zeit mehr sein sollte.


In dieser Art des Denkens nehmen wir an allem, was wir wahrnehmen, den diesen

Dingen anhaftenden Beweis wahr, daß sie sich nicht selbst hervorgebracht haben. Wir

Menschen sind uns selbst Beweis dafür, daß wir uns nicht selbst gemacht haben.

Genausowenig konnten dies unsere Väter oder deren Großväter - kein Mensch konnte es je.

Auch Bäume, Pflanzen oder Tiere können es nicht. Es ist die Überzeugung, welche aus

diesen Beweisen entsteht, die uns sozusagen notwendigerweise dazu führt, an einen

ewig existierenden Urgrund zu glauben, an eine Eigenschaft völlig verschieden

von allen körperlichen Existenzformen, die wir kennen, an etwas, durch dessen

Macht alle Dinge existieren; diesen ersten Grund nennen die Menschen Gott.


Nur durch die Anwendung von Vernunft können die Menschen Gott entdecken.

Nimm ihnen die Vernunft, und sie wären unfähig, auch nur irgendetwas zu verstehen.

In diesem Fall könnte man ein Buch wie die Bibel ebensogut einem Gaul wie einem

Menschen vorlesen. Wie kommt es, daß die Menschen der Vernunft anscheinend

entsagen?


Die beinahe einzigen Teile der Bibel, die uns einigermaßen eine Idee von Gott vermitteln,

sind wenige Kapitel der Bücher Hiob und der 19. Psalm. Ich kann mich keiner anderen

entsinnen. Diese Kapitel sind wahrhaft deistische Kompositionen, da sie von der Gottheit

anhand ihrer Werke handeln. Sie nehmen das Buch der Schöpfung als das Wort Gottes,

sie verweisen auf kein anderes Buch, und alle Schlußfolgerungen sind diesem Kompendium

entnommen.


Ich füge an dieser Stelle den 19. Psalm ein, wie er von Addison ins Englische übertragen

worden ist. Ich kann mich nicht an den Prosatext erinnern, und in dem Augenblick, in

dem ich das Folgende niederschreibe, habe ich auch Addisons Text nicht vorliegen.


"The spacious firmament on high,

With all the blue ethereal sky,

And spangled heavens, a shining frame

Their great original proclaim.

The unwearied sun, from day to day,

Does his Creator´s power display;

And publishes to every land

The work of an Almighty hand.


"Soon as the evening shades prevail,

The moon takes up the wondrous tale,

And nightly to the list´ning earth

Repeats the story of her birth;

While all the stars that round her burn,

And all the planets in their turn,

Confirm the tidings as they roll,

And spread the truth from pole to pole.


"What, though in solemn silence all

Move round this dark, terrestrial ball?

What though no real voice, nor sound,

Amidst their radiant orbs be found?

In reason´s ear they all rejoice

And utter forth a glorious voice,

Forever singing, as they shine,

The Hand That Made Us Is Devine."


Was wollen die Menschen mehr wissen, als daß die Hand oder die Macht, die alle diese Dinge

hervorgebracht hat, göttlich ist und allmächtig? Laßt die Menschen das mit aller

Kraft glauben, die unwiderstehlich ist, wenn sie sich nur gestatten wollten,

auf ihre Vernunft zu hören, und eine moralische Lebensweise ist die natürliche Folge.

 


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