Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#33)

Die beste Weise, Gott zu dienen (a)


Aus diesem Grund kann Religion als Glaube an einen Gott und Ausübung moralischer Wahrheit

keine Verbindung mit Mysterien eingehen. Der Glaube an einen Gott ohne ein Mysterium

ist von allen möglichen Glauben der einfachste, denn er ergibt sich, wie gezeigt, ganz

notwendigerweise. Und die Praxis moralischer Wahrheit, oder in anderen Worten die praktische

Nachahmung der moralischen Tugend Gottes, bedeutet nichts anderes, als daß unser Verhalten

gegenüber unseren Mitmenschen so sei wie Sein gütiges Verhalten gegenüber uns allen.


Wir können Gott nicht auf die selbe Weise dienen, wie wir denen zu Diensten sind, die ohne

diese Dienerei nicht könnten. Aus diesem Grund liegt die einzige Vorstellung, die wir davon haben

können, Gott zu dienen, darin, zum Glück der lebenden Schöpfung beizutragen, die Er gemacht hat.

Das kann nicht erreicht werden, indem man sich von der Gesellschaft der Welt abwendet und

ein zurückgezogenes Leben in selbstsüchtiger Anbeterei verbringt.


Die ureigene Natur und Beschaffenheit von Religion, wenn ich das so sagen kann, beweist eindeutig,

daß sie frei sein muß von aller Art von Mysterien, und unbelasted von allem Geheimnisvollen.

Religion obliegt als Pflicht allen Lebewesen gleichermaßen - und muß daher allen in gleicher Weise

verständlich sein.


Menschen lernen Religion nicht wie sie die Mysterien und Geheimnisse eines Gewerbes erlernen.

Sie lernen die Theorie der Religion durch Nachdenken. Religion entspringt den Vorgängen ihres Geistes

als Reaktion auf die Dinge, die sie sehen, hören oder lesen, und die religiöse Praxis entspricht diesen.


Als dann Menschen, entweder aus taktischen Überlegungen oder in religiösem Schwindel,

Religionssysteme errichteten, die mit dem Wort und den Werken Gottes in der Schöpfung

in Widerspruch standen und nicht nur nicht verstanden werden konnten, sondern mit dem

Verständnis in direkten Konflikt gerieten, ergab sich die Notwendigkeit, ein Wort Gottes zu

erfinden oder hinzubiegen, das als Bollwerk gegen alle Fragen, Spekulationen und kritische

Nachforschungen dienen konnte. Das Wort Mysterium kam da gerade recht, und so geschah es,

daß die Religion, selbst völlig frei von Geheimnissen, in eine Nebelsuppe von Mysterien korrumpiert

worden ist.


Dem Mysterium für alle generellen Anforderungen gesellte sich das Wunder als gelegentliches

Hilfsmittel bei. Wo ersteres dazu diente, den Kopf zu verwirren, war letzteres geeignet, die Sinne

zu verblüffen. Das eine war der Fachjargon, das andere der Zaubertrick. Bevor wir dieses Thema

weiter ausleuchten, wird es gut sein, eine Untersuchung über die Natur eines Wunders anzustellen.


Im selben Sinn, wie wir gesagt haben, daß alles ein Mysterium ist, kann auch gesagt werden,

daß alles ein Wunder ist, und daß kein Ding auf Erden ein größeres Wunder ist als ein anderes.

Ein Elephant ist, obschon größer, kein größeres Wunder als eine Milbe, noch ist ein Berg ein

größeres Wunder als ein Atom. Einem allmächtigen Schöpfer ist geht das eine so leicht von der

Hand wie das andere, Millionen von Welten zu schöpfen macht ihm keine größere Schwierigkeit

als die Erschaffung einer einzigen.


Alles ist also in diesem Sinne ein Wunder, und in einem anderen Sinn gibt es so etwas wie

Wunder überhaupt nicht. Es mag ein Wunder sein, wenn man unsere eigene Kraft und unser

eigenes Verständnis als Maßstab nimmt, aber es ist nichts dergleichen für die Macht, die es

ausführt. Freilich - keine von diesen Beschreibungen ist dienlich, das Wort Wunder zu definieren,

und so muß die Untersuchung weiter gehen.

 


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