Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#44)

Kapitel I


Über das Alte Testament (d)


In Deuteronomium weist der Stil noch deutlicher als in den anderen Büchern darauf hin,

daß Moses nicht der Verfasser ist. Hier wird eine dramatische Schreibweise verwendet.

Der Autor eröffnet mit einem kurzen, einleitenden Diskurs und führt Moses dann in einer Rede ein.

Nachdem er dann Moses seine Tirade abschließen hat lassen, setzt er, der Autor, seine

Ausführungen fort, bis er Moses wieder auf die Bühne zerrt. Er beschließt die Szene, indem er

einen Bericht über Tod, Begräbnis und Charakter des Moses gibt.


Dieser Wechsel zwischen Erzähler und Auftritten Moses ereignet sich vier Mal in diesem Buch.

Vom ersten Vers des ersten Kapitels bis zum fünften Vers spricht der Autor.

Dann wird Moses im Akt seiner Ansprache eingeführt, die bis zum 40. Vers des 4. Kapitels fortdauert.

An dieser Stelle läßt der Autor Moses Moses sein und gibt einen historischen Bericht darüber,

was sich in Folge dessen, was Moses zu Lebzeiten gesagt haben soll und ihm auf so dramatische Weise

vom Autor einstudiert worden ist, ereignet hat.


Der Autor kehrt dann zur Handlung zurück, und zwar im ersten Vers des fünften Kapitels, indem

er berichtet, wie Moses die Völker Israels zusammenrief. Wie schon zuvor wird Moses im Akt

der Rede eingeführt, und das dauert bis zum Ende des 26. Kapitels. Das wiederholt sich am Beginn

des 27. Kapitels, von wo sich die Rede bis zum Ende des 28. Kapitels fortspinnt. Im 29. Kapitel spricht

der Autor im gesamten ersten Vers und in der ersten Zeile des zweiten Verses, wo Moses zum letzten

Mal einen Auftritt hat und sprechend bis zum Ende des 33. Kapitels bleiben darf.


Nach diesen Auftritten des Moses erscheint wieder der Autor und erzählt durch das gesamte letzte

Kapitel hindurch: Er beginnt damit, wie Moses auf den Gipfel von Pisgah wanderte und von dort oben

das Land sah, das - so der Autor - Abraham, Isaac und Jakob versprochen worden war. Weiter, daß

Moses dort im Land Morab gestorben ist, man aber bis heute nicht weiß, wo er begraben liegt - bis heute

meint bis zu der Zeit, in welcher der Autor lebte, der das Buch Deuteronomium verfaßt hat. Der

Verfasser berichtet auch, Moses sei zum Zeitpunkt seines Todes 110 Jahre alt gewesen und weder

kurzsichtig noch zitternd vor Schwäche. Er schließt damit, daß es seit damals keinen Propheten wie

Moses mehr in Israel gegeben hat, den - so der Autor - Gott von Angesicht zu Angesicht gekannt hat.


Soviel zur grammatischen Beweisführung dafür, daß Moses nicht der Autor dieser Bücher sein kann.

Ich werde noch ein paar Bemerkungen zu den Inkonsistenzen des Verfassers von Deuteronomium

machen, ehe ich anhand der historischen und chronologischen Beweisstücke, die in den Büchern

enthalten sind, nachweisen werde, daß Moses nicht ihr Autor ist: weil er es nicht sein kann, woraus

zu schließen sein wird, daß es keinerlei Autorität für den Glauben gibt, all die in diesen

Büchern geschilderten schrecklichen Abschlachtungen von Männern, Frauen und Kindern seien - so

die Behauptung - auf ausdrücklichen Befehl Gottes verübt worden. Es ist Pflicht eines jeden wahren

Deisten, die moralische Gerechtigkeit Gottes gegenüber den Verleumdungen der Bibel in Schutz

zu nehmen.

 


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23•10