Mischa Lucyshyn: Thomas Paines "Das Zeitalter der Vernunft" (#84)

 

Kapitel III

 

 

Nun zum Neuen Testament (n)


Dummerweise berichten sie selbst wenig später, daß Christus nur einen Tag und zwei Nächte im Grab verbracht hat,

cirka 36 Stunden, und nicht 72: Von Freitag Abend an erst den Samstag und noch Samstag Nacht - er war, sagen sie,

Sonntag morgens auf und davon, noch vor Sonnenaufgang. Da das ungefähr so gut zusammenpaßt wie Mensch und

Schlange in der Genesis und wie die Jungfrau und ihr Sohn beim Jesaja, eignet es sich hervorragend für die Aufnahme

in den Krempel orthodoxer Glaubensartikel. So viel zum historischen Teil des Neuen Testaments.


Die Briefe des Paulus.

Diese dem Apostel Paulus zugeschriebenen Briefe, vierzehn an der Zahl, machen beinahe den gesamten Rest des

Neuen Testaments aus. Ob sie wirklich von Paulus geschrieben worden sind, spielt keine große Rolle, denn der Autor,

wer immer es war, versucht, seine Doktrin mit Beweisen zu untermauern. Er gibt gar nicht vor, Augenzeuge irgend

einer der Begebnisse wie etwa der Auferstehung oder Himmelfahrt gewesen zu sein und behauptet sogar, er hätte

diese Dinge nicht geglaubt.


Die Geschichte von seiner Reise nach Damaskus, auf der er plötzlich zu Boden geworfen worden sein will, ist nichts

Außergewöhnliches oder Wunderbares. Er kam mit dem Leben davon, was freilich mehr ist, als so manch anderem

bleibt, der von einem Blitz getroffen wird. Seine dreitägige Blindheit und die Umstand, ebensolang weder essen noch

trinken zu können, sind für von Blitz Getroffene keineswegs ungewöhnlich. Seine Begleiter scheinen keine solchen

Beschwerden gehabt zu haben, immerhin führten sie ihn während der restlichen Reise. Sie behaupteten auch nicht,

irgendwelche Visionen gehabt zu haben.


Paulus war, den Berichten über seinen Charakter folgend, außerordentlich brutal und fanatisch. Vor seiner Bekehrung

hatte er Menschen mit dem selben Ingrimm verfolgt, der danach seinen Predigten eignete. Der Blitzschlag veränderte

zwar sein Denken, nicht aber seine Persönlichkeit. Ob Jude oder Christ - er blieb ein Fanatiker. Solche Leute geben selten

ein gutes Beispiel für jene Doktrin, die sie predigen: sowohl ihr Glaube als auch ihre Handlungen sind extrem.


Die Doktrin, die Paulus sich anschickt, argumentativ zu beweisen, ist jene von der Auferstehung desselben Körpers - mit

dem Ziel, damit auch die Unsterblichkeit zu belegen. Die Menschen unterscheiden sich aber sehr in ihrer Denkweise und

in den Schlußfolgerungen aus den selben Prämissen - für mich zum Beispiel ist die Auferstehung des selben Körpers eher

ein Beweis gegen die Unsterblichkeit: Wenn ich nämlich sterbe, um im selben Körper wieder aufzuerstehen, kann ich doch

nur erwarten, wieder zu sterben. Diese Sorte Auferstehung bewahrt mich vor einem neuerlichen Tod ungefähr so wie

ein ausgestandener Fieberanfall den nächsten verhindert. Um also an die Unsterblichkeit glauben zu können, brauche ich

doch eine etwas höhere Idee als diese trübe Doktrin der Auferstehung.


Außerdem - wenn ich die Wahl hätte, würde ich sofort einen besseren und praktischeren Körper als den jetzigen akzeptieren.

Jedes Tier der Schöpfung hat es diesbezüglich besser als wir und übertrifft uns in dem einen oder anderen Aspekt. Die

geflügelten Insekten - von Tauben und Adlern einmal zu schweigen - legen in wenigen Minuten und unter viel geringeren 

Anstrengungen wesentlich größere Strecken zurück, als wir Menschen das in einer Stunde je zuwege brächten. Das elegante

Gleiten der Fische übertrifft uns an Beweglichkeit - unter der Berücksichtigung ihres Gewichtes - mühelos und deutlich.


Sogar die kriechende Schnecke kann aus der Tiefe eines Loches hinaufkriechen, in das ein Mensch geraten umkommen

würde, da ihm eine solche Fähigkeit fehlt, und die Spinne kann sich aus purem Vergnügen von jeder Höhe herablassen. Die

körperlichen Kräfte von uns Menschen sind so limitiert und unsere ungelenken Körper so schlecht konstruiert, daß wir wohl

kaum wünschen können, des Paulus Meinung möge stimmen: Sie ist der Größe des Ereignisses inadäquat, zu lächerlich im

Vergleich mit dem erhabenen Thema

 


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