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• Michael Roloff / Schliche #11

Dem Handke auf die Schliche:
Stempelung einer Briefmarke zu Lebzeiten
=XI=

I-A] Handke + Milosevics

Als M. in Den Haag starb wettete ich, mit mir selbst, dass Handke beim Begräbnis auftauchen würde. Um wieder ins Bild zu steigen. Was er doch ein Opportunist ist – einer, der ewig hungrige, der immer vom Spiegel gefüttert sein muss - genau so wie die Zeitschrift selbst, des Autisten besonders, schon von Säuglingszeiten an, ist ja auch so'ne Dialektik, von der liebäugelnden Mutter am allerliebsten; muss ja immer auftrumpfen. Wäre dieser Drang zum im-Bild-bleiben nicht so stark, wäre das Werk auch nicht so groß, so definiert und er hätte sich nicht so ziemlich vollkommen verausgabt. "Advertisement for Myself" heißt es bei Norman Mailer, mit dem Unterschied, dass bei Handke wirklich etwas vorzustellen ist. Ich war dann aber trotzdem überrascht von der Brutalität des Widerspruchs, der Wortgewandheit der verschiedenen Begründungen warum er zur Begräbnisfeier fuhr, imponierte mir dann aber wieder, unter all den auf Ehrenlaub süchtigen war er der blutrünstigste.

Trotz des ins Bild treten vor dem Bild des angeblich aller-bösesten der slawischen Wölfe stimme ich überein mit Handkes eigenen, vom Suhrkamp-Verlag weitergeleiteten Erklärung [APPARAT] - man erzählt sich und der Welt ja die schönsten Geschichten während das abgeschiedene Unterbewusste schlafwandelnd einen zum eigentlichen Ziel steuert! Ich hatte aber nicht vergessen während meiner Wette, dass Handke doch noch letztes Jahr in der Zeitschrift Literaturen

 mit seiner Damiel-Schrift uns - auch teils mit großem Witz über seine eigene Veranlagung zur Selbstgerechtigkeit - schreibend [Gerechtigkeit enthält viel Sadismus, Selbstgerechtigeit viel Schuldgefühl], am Schreibtisch sitzend klar machte warum er nicht als Verteidigungszeuge bei dem M.-Prozess in Den Haag / Scheveningen auftreten würde.

Es gab da wohl doch Zweifel, zu einem vielleicht tagelang dauernden Auftreten vor der Kamera. Hierfür reicht der Vorzeigedrang dann doch vielleicht nicht! Außerdem hat Handke schon vor Jahren einmal geschrieben, wie miserabel er glaubt sich selbst vor Gericht verteidigen zu können. Zeugen werden unter mehr als vier Augen verhört! Ob der schlimme Milosevic eine tragische Figur war/ist, bin ich nicht in der Lage zu beurteilen: dafür war die westliche Berichterstattung, besonders in den USA, viel zu oberflächlich, trotz meiner Versuche mich besser informieren, um nur das Wort "oberflächlich" unter vielen anderen Schimpfwörtern zu benutzen. Oder ob M. Gauner unter Gaunern war wie sie auf Handkes "Quodlibet" auf der Bühne mit ihren Huren und Geheimagenten herumstolzieren; wie es die Schriftsteller jetzt bei den Bürgerkriegen tun als wichtigtuerische Touristen.

Aber das weder Herr Tudjman oder Isetbegovic bessere Wichte waren, hat ja auch der Spezialgesandte Holbrooke bemerkt. Und für Außenminister Jim Baker war der ganze Laden keiner der wirklich schönen - sage ich, der diese Hunde kennt - Texas hounddogs wert nachdem Jugoslawien so politisch unbedeutend wurde wie die Mujaheddin in Afghanistan. Ja aus diesem Vakuum, dem Hervortauchen vieler vernachlässigter Höllenhunde, scheinen die von Enzensberger so exzellent beschriebenen Bürgerkriege zu entstehen.

Am Rio Grande gibt es eine Kleinstadt namens Truth and Consequences, halbwegs zwischen El Paso und Albuquerque, just a few miles up from the bridge with a "touch of evil" von El Paseo zur Ciudad Juarez, mit der Herrn Handke scheinbar wenigstens fiktiv in der "Niemandsbucht" Bekanntschaft gemacht hat aber vielleicht ist das eine Verdrängung einer Brücke über die Salzach oder Seine. Inzwischen ist M. in Belgrad, zwar post mortem, wegen Mordes an seinem Vorgänger verurteilt worden, was Herrn Handke, der glaubt, dass Den Haag nicht der richtige Ort für M. gewesen war, sondern Belgrad, vielleicht auf einige neue Gedanken oder weiteren Revisionen bringen könnte.

Zur Zeit des Globus Interviews, im Sommer 2006 sagte er ja: "Ich sollte ja da als Verteidigungszeuge auftreten" -[siehe A + APPARAT] schien er es auch vollkommen vergessen zu haben was er in "Literaturen" veröffentlichte. Er würde also schon gerne, hat es sich dann aber überlegt. Wie gesagt: ich selbst bin nicht in der Lage noch habe Lust oder Notwendigkeit zu einem endlichen Urteil über Herrn M. zu kommen. Im New York Times Magazine-Interview sagte Handke, dass er weder für noch gegen M. war. M. und Frau haben viele Handke Aufführungen zu ihrer Zeit in Belgrad ermöglicht, jetzt sind Handke-Stücke dort so unerwünscht wie in Paris. Man sollte auch das ausführliche Interview in der NZZ [siehe APPARAT] lesen. Es geht daraus hervor wie gut sich Handke in der Gegend auskennt. Vielleicht war seine "soft side" für M. ein vollkommenes Fehlurteil, beeinflusst von diesem grossväterlichen Wunsch nach einer Vereinigung der in der Sprache und Geschichte schon vereinigten Jugo-Slawen; vielleicht ist Handke einem falschen Hund da auf den Leim gegangen, eine Metapher den ich nicht korrigieren werde, der die Vereinigungsidee nur der Macht wegen ausnutzte. Sonst hat Handke immer kühlen, distanzierten Blick auf die Grossen und Mächtigen behalten, trotz eines mir unangenehmen Strebertums.

"Is he really going out with her..." Handke ist 'schuldig' nicht mit der Masse in die von den Massenmedien vorbereiteten Kerbe mit immer den gleichen Plattitüden zu schlagen mit und in denen die dumpfe Masse [„the sheeples“ wie ein Bekannter es schoen vor ein Paar Wochen i einem NY Times Forum formulierte] lebt [noch so'ne Dialekik, die zu so wenig führt; man beginnt dann an der Kraft der Dialektik an zu zweifeln]. Mit schönen, groben, aus Schmerz bestehenden Worten äußert er Schreie, Hilferufe, da seine Idee von Jugoslawien ja mit der selbstgeschaffenen Vaterfigur seines Großvaters verbunden ist. Er, der durch den besoffenen, ewig schlagenden Stiefvater über die Jahre zum Deutschenhasser gemacht wurde (und davon ist so viel "Deutsches" in ihm - wie Handke es als das Böse zweiten Grades beschimpft): Ja, Herr Handke, wenn überhaupt jemand dann war/ist er der absolut siegende Ödipus der [einst] vaterlosen Gesellschaft, der sich da in der "Wiederholung" seinen mütterlichen Großvater, den slowenischer Sivec, als Vater einverleibt - das ist große psychische Leistung, und ohne der möglichen Hilfe eines gekonnten Analytikers geleistet: und endlich Slowenisch gelernt, aus dem slowenischen übersetzt, eigenes slowenisches Wörterbuch angefertigt, tja mit den Slowenen, deren einer er geworden war, hat er's ja auch verpatzt, der Herdermensch, der den Babel der Sprachen befürwortet, der Idee eines Föderalismus wegen; einer Gegenföderation zur Europäischen [eine Idee, die ich gern befürworte].

Nur eines ist Handke unter all den schönen Sachen, besonders "Dem Spiel zum Stück vom Krieg" vorzuwerfen - ein wirklich grosser Fehler ist ihm in seinem vom Grossvater informierten Idee des Föderalismus unterlaufen: er hat den Drang dieser Stämme endlich alleinstehend zu sein, nach all dem nicht miteinander auskommen in der faschistoiden, sozialistischen, monarchistischen Föderation, den hat er unterschätzt. Sein Urteil über das beinahe perfekte Crime - irgendwie fehlt dem Alleingeher da plötzlich der Zugang. Was Herrn Handke noch bevorsteht ist dieses neue, jetzt schon seit zwanzig Jahren einverleibte Großvatermodell, der Kritik, zum Beispiel des Grossvater Zorns, des Grossvaters Ideale, vielleicht auch des Grossvaters Geilheit zu unterziehen, dass diese Qualitäten, nicht mehr so auf automatisch laufen.

Mit der Liebe zur Einfachheit, dem Bauernessen, dem Handwerkhaften, des ländlichen Tao, dem Landespriesterhaften, der Kultur der Armut, daran habe ich nichts auszusetzen.

April 2006 / III

»Auf den Tod von Slobodan Milosevic habe ich, anders als die sogenannte Allgemeinheit, an deren Allgemeinheit ich nicht recht glaube, nicht »mit Genugtuung reagiert«, zumal das Tribunal den seit 5 Jahren in einem angeblichen »5-Sterne-Gefängnis« (»Libération«) Verwahrten erwiesenermaßen hat sterben lassen. Unterlassene Hilfeleistung: ist das nicht ein Verbrechen? Ich »gestehe«, etwas wie Kummer empfunden zu haben, der am Abend nach der Todesnachricht beim Gehen in den Seitenstraßen zu der Vorstellung führte, irgendwo für den Toten eine Kerze anzuzünden. Und dabei sollte es bleiben. Ich hatte nicht vor, zum Begräbnis, pogreb, sahrana, nach Pozarevac zu reisen. Ein paar Tage später erreichte mich die Einladung, nicht etwa von der Partei, sondern von der Familie (die übrigens an der Beerdigungsstunde dann, anders als verlautet, zum Großteil anwesend war). Freilich bewog mich weniger das zu der Reise. Mehr waren es die Reaktionen der durchweg feindlichen, nach dem Tod noch verstärkt feindlichen Westmedien, und darüber hinaus der Sprecher des Tribunals und auch des einen oder anderen »Historikers«. Es war deren aller Sprache, die mich auf den Weg brachte. Nein, Sl. M. war kein »Diktator«. Nein, SI. M. hat nicht »vier Kriege auf dem Balkan angezettelt«. Nein, Sl. M. hat nicht als »Schlächter von Belgrad« bezeichnet zu werden. Nein, Sl. M. war kein »Apparatschik«, kein »Opportunist«. Nein, Sl. M. war nicht »zweifellos« schuldig. Nein, Sl. M. war kein »Autist« (Wann übrigens werden die schmerzhaftest kranken Autisten sich wehren, daß ihr Kranksein als Schmähwort gebraucht wird?). Nein, Sl. M. hat mit seinem Sterben in der Zelle von Scheveningen »uns« (dem Tribunal) keinen »bösen Streich gespielt« (Carla del P.). Nein, Sl. M. hat »uns« mit seinem Tod nicht »den Teppich unter den Füßen weggezogen, uns das Licht ausgeschaltet« (dieselbe). Nein, Sl. M. hat sich nicht vor dem Schuldspruch, ohne Zweifel LEBENSLÄNGLICH, weggestohlen«. Sl. M. wird »dafür aber dem Urteil der Historiker nicht entkommen« (ein »Historiker«): abermals nicht bloß unwahre, sondern schamlose Sprache. Solche Sprache war es, die mich veranlasste zu meiner Mini-Rede in Pozarevac - in erster und letzter Linie solche Sprache. Es hat mich gedrängt, eine, nein, die andere Sprache vernehmen zu lassen, nicht etwa aus Loyalität zu Slobodan Milosevic, sondern aus Loyalität eben zu jener anderen, der nicht journalistischen, der nicht herrschenden Sprache. Beim Anhören des einen oder anderen der Vorredner in Pozarevac dann allerdings der Impuls: nein, nicht sprechen nach dem schneidigen General da, dem nach Rache schreienden Parteipolitiker da, die beide die Menge anheizen wollten, welche sich freilich, bis auf ein paar vereinzelte Mitschreier, keinmal zu einer Haß- oder Zornantwort kollektiv hinreißen ließ: denn es war eine Menge aus Trauernden, still und tief Bekümmerten, so mein nachhaltigster Eindruck. Und für diese Bekümmerten, gegen die markigen, starken Sprüche, mach¬te ich dann doch den Mund auf wie bekannt -- als ein Teil der Kummergemeinde. Reaktion darauf: P. H., der »Claqueur« (FAZ) -- gibt es eine verwahrlostere Sprache als diese? Ein »Claqueur«, was ist das: Einer, der für Geld Beifall klatscht. Und wo ist der Beifall? (Nie habe ich auch geäußert, wieder laut FAZ, »glücklich« zu sein nahe dem Toten.) Und wo ist das Geld? (Flug und Hotel selbst bezahlt.) Mein Hauptbedürfnis jedenfalls für die Grabreise: Zeuge sein. Zeuge weder im Sinn der Anklage noch im Sinn der Verteidigung. Heißt denn inzwischen, Zeuge nicht im Sinn der Anklage sein zu wollen, für den Angeklagten zu sein? »Zweifellos«, gemäß einem der Hauptschlagworte der herrschenden Sprache?« (Quelle: / Suhrkamp Verlag]

Im Globus Interview [siehe A und APPARAT] nennt er auch die Notwendigkeit eines Schriftstellers die Atmosphäre in P. bei dem Begräbnis zu absorbieren da er vor hat einen Roman über die "tragische Figur" von Miloscevic zu schreiben; und auch : "Ich sollte ja da als Verteidungszeuge auftreten" - [siehe A + APPARAT] wobei er scheinbar vollkommen vergessen zu haben schien dass er in "Literaturen" in den Tablas veröffentlichte, dass er sich doch entschieden habe NICHT da als Zeuge aufzutreten, aber das Globus Interview ist so sehr gekürzt dass man zwar ein Idee von Handkes Lebenstil in Chaville bekommt, aber irgendwelche Qualifikationen abgehebelt sind.

Die Einladung der Familie M. zum Begräbnis erwähnt er in dem obigen Statement - es ist ein leichtes solchen Einladungen nicht anzunehmen, wird Herr Handke zu meinem Begräbnis der mehr als sonst jemand für ihn in den Vereinigten Staaten gemacht hat? [Ich lade ihn jetzt ganz öffentlich ein. Ich bin so fünf Jahre älter, bis auf die Zähne in guter körperlicher Verfassung, also außer einem Unfall sollte das alte "Truthahn Genick" mich schon überleben, die Sivecs werden Uralt, auch die Schönherrs, bei mir einige ja aber eine Seite der Familie stirbt eher jung; außerdem meine Zigarren, die Pfeife.]

In der Beschreibung eines Interviews in der FAZ in Madrid im Sommer 2006 [APPARAT] sagt Handke dass M.'s Lächeln bei der Anklage ihn von M.'s Unschuld überzeugt hätte; in dem New York Times Interview spricht er von dem "tragischen Figur" M. nicht dass es jemand bis jetzt eingefallen wäre nach der Art dieser Tragödie zu fragen, ob M. [sagen wir im Vergleich zu Hitler] nur unter diesen Umständen... das er kein reissender Wolf ab Geburt oder als erfolgreicher westlicher Bankier war, daran erinnern sich die Verteufeler von M. nicht. M. war Vertreter, Vollstrecker der Idee eines Vereinigten Jugoslawien. Wie weit darf ein Vollstrecker gehen?? Abraham Lincoln als Verteidiger der Vereinigten Staaten ist auch sehr sehr weit gegangen... Hätte die Union verloren wäre er dafür vors Gericht gestellt worden. Handke hat schon seit langer Zeit mit einflussreichen Mächtigen zu tun, ist selbst einflussreich, in der Literatur. Der Einfluss von M. und Frau mögen zur Aufführung einiger Stücke in Belgrad geführt haben; jetzt ist das Gegenteil der Fall, er und Materic [mit dem der die schön "La Cuisine" gemacht hat] haben grossen Schwierigkeiten da was auf die Bühne zu kriegen. In Hinsicht auf Handkes Werk ist es mir vollkommen Schnuppe mit wem er zu tun gehabt hat; ob er recht oder Unrecht oder bisschen von beidem über M. hat wird sich ein dieser Tage herausstellen. Aber es ist zu bemerken, dass Handke sich bis jetzt nicht zu M.'s posthumer Verurteilung in Belgrad geäußert hat, es war doch Handke's Standpunkt, dass M. nicht nach de Haag sondern nach Belgrad vor Gericht gehört; die anderen schon, aber nicht M.; die anderen, die seine Untergeordneten, sollen an den Verbrechen Schuld haben, da ja – so Handke – nie irgendwelche Befehle gegeben hat, jedenfalls keine schriftlichen hinterlassen. Wie er das weiss… ob Milosevics ihm das während des Gefängnis Besuchs erzählt hat? Das sich Unterordnete, unter den Umständen die zu der Zeit in Jugoslawien herrschten, auch selbständig machen konnten ist anzunehmen, den einzigen übernationanalistischen Zug den Handke bei M. beanstandet ist die berühmte Rede auf dem Amselfeld die kein Grad nationalistisch Serbischer ist die der der anderen Tribal Chiefs. Aber nachdem er sich drei Stunden mit M., vielleicht zusammen mit Harold Pinter, im Gefängnis unterhalten hat - er war beeindruckt, aber das war glaube ich nicht das erste Mal, denn es schienen da ja familiäre Bekanntschaften von früher aus Belgrad zu bestehen, jedenfalls deutet Handke an, dass er zum Begräbnis auch aus diesem Grund gefahren sei. Ist das Belgrader Gericht auch ein unzulängliches gewesen? Jedenfalls bin ich unter den abrufbaren Eindruck gekommen, dass Handke M. ausspart, dass ihm etwas daran liegt in auszusparen. Intrapsychisch war/ ist M. wichtig für Handke, es liegt hier mehr vor, finde ich, als der Gerechigkeitsdrang der in dem Fall der Serben ein justes Volk gefunden hat; intrapsychisch, was bedeutete Handke dem M.?

Ausserdem: Mir kommt es vor dass M. für Handke so etwas wie Dubrovnik ist: es kann doch nicht sein das jemand der Handke's Idee eines vereinigten Jugoslawien verteidigte so schuldig wie angeklagt sein kann. Handke ist in de Haag um den heißen Brei herum geschlichen, in "Rund ums Tribunal" hat er keine oder kaum welche der Gerichtsverhandlungen beigewohnt. In den "Tablas des Damiel" erklärt Handke es sei sinnlos als Verteidigung Zeuge aufzutreten für einen schon im Voraus Verurteilten, wobei das vorherverurteilt sein wohl in diesem Fall stimmt; bei solch einem Gericht wie das da zusammen gekommen das M. für so alles böse wenn nicht in der ganzen Welt, jedenfalls was da in Jugoslawien passiert verantwortlich machen wollte hätte wahrscheinlich auch ein Hitler gelächelt. Aber dass dies nicht ein gerechtes Gericht war hat ja nichts mit M.'s wirklicher Schuld oder Unschuld zu tun. Handke's Auftreten als "Character Witness" hätte doch einiges zur Verminderung welch immer Strafe beitragen können, oder jedenfalls diesen schlimmen Tatbestand der angeblichen Schuld von Milosevics - wie einst die Unschuld des ganzen Serbischen Stammes – in ein ganz anderes Licht gerückt; die öffentlichen Meinung beeinflusst; und natürlich viel Aufsehen erregt. Handke war nicht zu jeder Zeit so pessimistisch: als der Serbe, das spätere Modell für den "Verrücken Waldläufer" im "Einbaum", von einem Deutschen Gericht inhaftiert wurde, hat Handke ihn verteidigt, ist Handke sein öffentlicher Trauzeuge geworden. Damals bestand kein Zweifel an der Unschuldigkeit, dieses Serben, von der Deutschen Justiz verurteilt nach dem neuen Deutschen Gesetz das man schuldig ist wenn man einem Verbrechen beiwohnt ohne etwas zu tun um es zu verhindern, als ob die Deutsche Gerichtsbarkeit und die Deutschen Gesetze sich auch auf Jugoslawien erstrecken! Scheinbar ja, in diesem Fall.

Im Fall von M., glaub ich, drückt sich Handke wie ein Bräutigam herum um die Möglichkeit, dass die Geliebte eigentlich vielleicht doch ein Hure ist, und Huren machen ihn nicht geil! Wie es wirklich mit der Braut steht, sei dahingestellt. Handke's Einstellung zu M. sowie zu Jugoslawien sagt mir [uns?] nur etwas aus über seine Liebe; dass er ja in so vielem Recht behalten hat verleiht seinem Selbstbewusstsein Gründe seiner Urteilskraft auch in diesem Fall zu trauen.    Handke wird in Deutschland und Frankreich verpönt weil er scheinbar das aus dem Auschwitz Alptraum stammenden "du darfst nichts Verneinen" Gesetzes verstoßen hat, welches mit rabiater und narzissistischer Selbstgerechtigkeit durchgesetzt wird. Zu dem ist zu bemerken, dass wenn dieses Konzept, aus der Psychoanalyse stammend, wohl um einiges weiter, in das persönliche sowie auch den ganzen öffentlichen Lebensbereich erweitert werden würde: was da wohl bei der Ansicht Aller in ihrer alle Nacktheit auf diesem Tag des Letzten Gerichts auf Lebzeiten herauskommen würden. Aber es ist der Fall, dass er gar nicht zu einer Verurteilung von M. in de Haag kam; dass er vorher gestorben ist. Also, legal ist der Fall was man in dem Amerikanischen Recht "moot" nennt, er spricht nicht, es ist ein Hund dem die Zunge ausgeschnitten. M. ist doch nur von der öffentlichen Meinung schuldig gesprochen, doch nur von einem grossen Teil von Intellektuellen, Journalisten. Ja, und Frau del Ponte bereut es, dass M.' dem Urteil entwischt ist. Exact betrachtet, besteht doch nichts anderes als eine Meinungsverschiedenheit über etwas gerichtlich Unentschiedenes, soweit es das de Haag Gericht betrifft. Also ein Teil der Journalisten Branche hat sich ermasst über M. ein persönliches Urteil zu fallen, und jedem, besonders einem wortstarken, der mit ihrer puren Meinung, einer Meinung die eo ipso genau so zweifelhaft ist wie Handke's, zu verpönen: ein Regisseur setzt ein Stück ab, 100 Französische Intellektuelle unterstützen ihn dabei; in Deutschland schreiben einige nicht vollkommen unbedeutende Leute wie Buch, Spiegel [SIEHE APPARAT] über Handke seiner Meinung wegen als ob er ein Verbrecher wäre. Von meinem Standpunkt hat Handke einige characterologische Züge die ich einfach grässlich finde, aber das hat auch nichts mit der Sache zu tun. Er schrieb oder sagte einmal: "Wenn ich schlimm bin dann sehr schlimm, wenn gut sehr gut." Stimmt.

Von denen die sich da über ihn hermachen, würde ich aber mit keinem einzigen was tun haben, nicht mal dem Schneider der auf mich auf Anhieb den selben netten Eindruck hinterließ als auf Handke, bis ich dann so seine Sachen las, und dass er sich den Hosenbund besonders eng mach bevor er sich ans Schreiben setzt, im Gegensatz zu Herrn Handke, der seine Geilheilt lockerer hällt, wenn sich jemand an diesen schönen Detail aus der ersten Handke/Jugo Campagne noch erinnert. Eine Anmaßung selbstgerechter Journalisten, von denen keiner aber keiner sich in der Gegend so auskennt wie Handke, die zu einer Hexenjagd ausgeartet ist; und scheinbar gibt es Diskussionen ob man Handke's Jugoslawischen Schriftum vom Rest des gelobten Werkes ausscheiden soll....

Oskar Negt bei der Diskussion an der Deutschen Akademie fand dass M. Handke vielleicht verwirrt habe: nein wenn jemand Handke verwirrt, er sicherlich sich selbst: and so what! Er wird sich selbst entwirren, wie wir uns alle, oder nicht.

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