14. August 2004

"Beleidigung der echten Ehe". So eine Headline, gestern im "Standard", finde ich unwiderstehlich. Da möchte ich doch wissen, was das sei, eine "echte Ehe". Und krieg deutliche Hinweise.

Bürgermeister Siegfried Nagl aus der Landeshauptstadt Graz verrät uns:
"Für mich zählt das traditionelle Familienbild, das durch die Konstellation Vater-Mutter-KInd definiert ist."

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Wäre man nicht prompt am Rande übler Nachrede, möchte man den Bürgermeister fragen: "Sind Sie ein Heuchler oder ein Dummkopf?" Woher hat der Herr Nagl seine Annahme, die genannte Konstellation sei "traditionell".

Es erstaunt, da der Herr Nagl ein ÖVP-Mann ist. Die Christlichsozialen haben sich seit je her an die Bauernschaft rangeschmissen. Und gerade DA, in der agrarischen Welt, hat es genau dieses Familienmuster die längste Zeit für die meisten Leute nicht gegeben. Was der Herr Nagl sich als Ideal zurechtträumt, kommt in unserer Sozialgeschichte über Jahrhunderte bestenfalls als Fußnote vor.

Da möchte man Bruno Kreisky paraphrasieren und sagen: "Lernen Sie Sozialgeschichte, Herr Bürgermeister!". Ich hätte dazu auch mindestens zwei Tips, die vorzügliche österreichische Historiker betreffen. Ernst Bruckmüllers "Sozialgeschichte Österreichs" sollte vielleicht in keinem heimischen Politikerhaushalt fehlen. Michael Mitterauer darf ebenso als Autorität auf diesem Gebiet gelten. Er hat gemeinsam mit Reinhard Sieder ein Buch "Zum Strukturwandel der Familie" verfaßt. Es trägt den Titel "Vom Patriarchat zur Partnerschaft".

Ein Aspekt, um das sich der Adels-Sproß Vincenz Liechtenstein im gleichen Beitrag kräftig drückt. In dem er kämpferisch ausposaunt:
"Für mich ist die Ehe eine Institution für Mann und Frau. Eine Gleichstellung homosexueller Beziehungen kommt einer Herabwürdigung und Beleidigung der echten Ehe gleich."

Da hätte wir sie also nun, die "echte Ehe". Von einem Herrn proklamiert, der die Vorzüge alter Aristokratie genießt. Also einer Gesellschaftsschicht, denen die Ehe über all die Jahrhunderte fast ausnahmslos EINES war: Zweckgemeinschaft und Machtinstrument. Niemand bestreitet heute, daß Herzensfragen dabei vollkommen nachrangig blieben.

Trafen sich in einer aristokratischen Ehe die Herzen, galt dies als Sonderfall. Wie man es von Österreichs Maria Theresia und ihrem Franz Stephan überlieferte. Betont: eine Ausnahme.

Betrachten wir heute das Feld der "echten Ehe", dann wird es in zivilen Zonen kein vergleichbares Schlachtfeld geben. Denn ich möchte wetten, diese "Institution für Mann und Frau" ist hierzulande völlig Konkurrenzlos, was Gewalttaten angeht.

Spätestens unter diesem Aspekt der Betrachtung spürt man dann, ganz leise, wie einem die arrogante Geschwätzigkeit á la Nagl und Lichtenstein die Plomben lockert ...


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