1. September 2004

Jetzt mal ganz unter uns. (Ha! Das ist eine rhetorische Wendung, die ich wirklich SEHR mag.) Hat hier bitte jemand eine Erklärung dafür, warum die Deckel von Frischhaltedosen so auffallend leicht verschwinden? Die Dosen, wenn die verschwinden würden, das könnte ich verstehn. Den die kann man auch ohne Deckel sehr gut für allerhand verwenden. Aber die Deckel!

Cut!

Jetzt mal ganz unter uns. (Ha!) Meine Auffassung von Zivilisation verbietet es mir, auf Menschen mit bloßen Fäusten loszugehen. Aber phantasieren darf ich das. Wenn mir zum Beispiel kulturpolitisches Personal aus gut bezahlten Positionen heraus den Spott antut, sich mit der Behauptung vorzüglicher Kulturpolitik zu brüsten.

Und das sieht dann konkret etwa so aus, daß wir eine Künstler-Sozialversicherung haben, die mir per Gesetzt aufgezwungen ist. Ich kann sie nicht ausschlagen. Was heißt, ich MUSS zahlen. Auch wenn ich weder Willen noch Bedarf haben sollte.

Was geltendes Recht ist, zeigt sich da aus meiner Perspektive als ein Gesetz für Wegelagerer. Nämlich! Es weist mir das Finanzamt einen Jahresverdienst von 7.826,06 Euro aus. Wovon ich natürlich noch Steuern bezahle. Was bleibt, ist ein sehr Bescheidenes Einkommen.

Gut. Meine Sache. Daß ich nicht auf den Markt dränge, sondern mit erheblichem finanziellen Risiko bestimmte künstlerische Projektideen verfolge.

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Aber jetzt kommt die Crew der Sozialversicherungsanstalt und räumt mir, gestützt auf dieses Wegelagerer-Gesetz, von jenem Betrag noch satte 2.000 Euro (!!!) herunter.

Ich gestehe, das ist eine Situation, die macht mir Laune, auf kulturpolitisches Personal, das solche Zwangsregelungen für elegant hält, mit bloßen Fäusten loszugehen. Denn ich fühle mich beraubt.

Beograd (4)

Entlang der Strecke brannten Feuer auf den Feldern. Die Ernte war eingebracht. Es ging an Dörfern vorbei, wie ich sie aus dem Burgenland kenne. Am Dorfeingang ein Kruzifix am Straßenrand. Frauen in Kittelschürzen hatten sich mit Sesseln um dieses Kreuz versammelt, Kinder tollten um sie herum. Ich war zwischen solchen Momenten völlig von meiner Lektüre vereinnahmt.

Reemtsma schrieb in seinem Buch zu den Folgen seiner Überwältigung: "Alles ist, wie es war, nur paßt es mit mir nicht mehr zusammen. Als trüge ich eine Brille, die alles einen halben Zentimeter nach links oder nach rechts verschiebt."

Ich habe selbst rund ein Jahrzehnt gebraucht, um genau diese Divergenz zu ertragen. Wenn ich manchmal an jemandem anstreife, der das auch kennt, dann macht das ein kurzes Aufatmen. Und mit jedem der spärlichen Ereignisse, die so ein Aufatmen herbeiführen, wird diese Bürde des Abweichens etwas leichter.

Oder. Es ist vielleicht gar nicht das Abweichen. Sondern daß alle anderen, die sowas nicht kennen, diese Kluft, diesen halben Zentimeter Divergenz NICHT SEHEN können. Das lastet schwer.

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Auch in der Nacht brannten die Strohfeuer, ihr Geruch begleitete mich. Ich war nun unter Tausenden von Menschen, die Überwältigung erfahren hatten und, wie ich annehmen darf, mit dieser Verschiebung leben. Aus zeitlich noch ganz nahe liegenden Quellen bezogen. Aus diesem Krieg in den Neunzigern.

Tovarnik.

Gleich dahinter beginnt Serbien. Mikica schickte mir eine SMS: "Dobro dosauo u srbiju! Willkommen in der wildnis!"

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