10. November 2005

Nicht bloß professionelle Spammer scheißen uns die Netzwerke mit unerwünschten Werbemails zu. Nein. Auch viele Leute auf dem Kunstfeld neigen längst, das Web erst mal abzugrasen und dann ihre Verteiler aufzubrezeln. Um ein nettes Quantum draufzumüllen. Auf den Datenschrott, den ich mir nicht vom Leib halten kann.

Motto: Fire and forget! Wurscht wer es kriegt und wo der lebt. Kostet ja nix, raus damit. Immerhin bemerkenswert, Leute vom Kunstfeld sind ja quasi im Kommunikationsgeschäft, halten sich gelegentlich auch für Elite in diesem Bereich. Schmarrn!

Ich bitte meist moderat, manchmal aber entnervt, gereizt, mich aus dem Verteiler wieder zu löschen. Was übrigens gar nicht immer gelingen will, selbst wenn der Absender es möchte. Weil er zum Beispiel meine Adresse in seinem Verteiler nicht findet.

Die zur Jahreszeit naheliegendste Einladung bekam ich unlängst aus dem Salzburgischen:
>>Im Rahmen der Reihe "Kultur rund um den Bauerntisch" / Advent und Weihnachten in der bäuerlichen Küche / Gefüllte Lebkuchen, Kletzenbrot und Weihnachtsstollen schön verziert, festlich verpackt - auch zum Verschenken!<<

Die drolligste Antwort der letzten Zeit bekam ich eben von einem Markus aus Wien:
>>leider sind wir, bzw. bin ich lediglich ein kleiner Schreiber der keine Ahnung von Werbung und dem drum herum hat. Ich wollte zum einen niemanden auslassen und danach die Schlechte nachrede haben, nicht geladen zu haben. Weiters hab ich wirklich keine Ahnung wem ich denn diese Email gesendet habe.<<

(Also, er hat jetzt einen Computer, aber gebt's dem bitte bloß kein Auto in die Hand!)

Cut!

Sagt Ihnen zufällig der Name Stanley Milgram etwas? Der ersann vor vielen Jahren ... das Milgram-Experiment. Ich hab hier irgendwo ein zerfleddertes Rowohlt-Büchlein mit den ebenso aufschlußreichen wie schauerlichen Ergebnissen in meiner Bibliothek. Was so alles geschieht und was Menschen angetan wird, wenn man den Tätern die Verantwortung dafür abnimmt. (Die Lektüre des preiswerten Bändchens ist überaus lohnend.)

Das "afrika-net info" berichtet, nach APA-Meldungen, recht beunruhigende Aspekte aus dem Prozeß um die Tötung von Seibane Wague. [LINK] Auch aus vielen anderen Medien waren unerträgliche Details der Umstände zu erfahren.

"Vor Gericht standen sechs Polizisten, der Notarzt sowie drei Sanitäter. Ihnen war fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen vorgeworfen worden."

Das bedeutet, ein ganzes Team von Trouble-Shooters findet nichts dabei, wenn mehrere Personen auf einem am Boden liegenden Menschen herumknien, wenn einer dazu den Stiefel auf dessen Brustkorb stellt, als habe man es mit einer erlegten Bestie zu tun.

In einer Ansammlung von professionellen Problemlösern merkt erst mal niemand, daß Wague stirbt, während der Notarzt sich nicht getraut, den Polizisten Zweckdienliches zur Situation zu sagen. Daneben stehen Sanitäter, über die es heißt, sie hätten gegenüber dem Notarzt ja nicht "päpstlicher als der Papst" zu sein brauchen.

Was angesichts des grausamen Todes von Wague eine ziemlich obszöne Formulierung ist. Ähnlich furchterregend ist die Mitteilung, die Beamten hätten sich "schulungskonform" verhalten. Wie muß man solche Kommentare verstehen? Ist doch ein Fundament jeder Zivilisation unser aller Gewaltverzicht. Und die Abtretung des Gewaltmonopols an den Staat.

Darf ich daher annehmen, die Polizei sei für ihre überaus schwierige Aufgabe bestens geschult, folglich in der Lage, jemanden, der ohnehin schon in Fesseln liegt, am Leben zu erhalten? Darf ich offenbar nicht. Zitat nach dem "Standard":

>>Medizinische Sachverständige erklären, was mit dem in Bauchlage fixierten Patienten geschehen ist, warum, woran und worunter er sterben musste. - "Unter einer Last von mehr als 100 Kilo, die mehrere Minuten auf den Rücken des Mannes eingewirkt haben", sagt Gerichtsmediziner Daniele Risser.<< [Quelle]

Verblüffend!

Ich wiege ja rund 100 Kilo, und es scheint mir (ganz ohne jede Schulung) völlig klar, daß ich mich damit in keiner Situation auf jemandes Brust oder Rücken stellen sollte. Streß? Ich denke, daß ein einzelner Mensch in einer Krisensituation versagt, mag ja Menschenmaß sein. Daß aber eine ganze Truppe von Professionals auf eine Art versagt, wonach ihnen ein Mensch unter den Händen verreckt, nicht etwa in nobler Distanz, nein, bei Hautkontakt, das ist höchst verstörend.

Das ganze Herausgerede bietet dazu einen miserablen Begleitton. Und wenn man auch eventuell einrechnen müßte, daß Menschen in extremen Situationen manchmal schwere Fehler unterlaufen, wenn man überdies weiß, wie es in Verkettungen solcher Fehler zu den größten Katastrophen kommen kann, so bleibt doch wenigstens DAS klar: Hier hat die Republik in der Verwaltung des Gewaltmonopols versagt.

Nun würde ich gerne von Politik und Verwaltung ausdrücklich hören, daß man sich genau dessen bewußt ist. Daß man nachvollziehbare Konsequenzen zieht ... Das ist meines Erachtens nicht an den Tätern festzumachen, um die sich ja ohnehin Gericht und Dienstaufsicht kümmern. Das meint den Staat selbst. Ich höre noch nichts, was mich beruhigen würde.

Fußnote.

Ich lese natürlich auch, die gestern ergangenen Uerteile seien skandalös. Damit kann ich mich nicht anfreunden. Außer man müßte annehmen, das Verfahren selbst sei von skandalöser Art gewesen. Ansonsten will ich davon ausgehen, daß ein unabhängiger Richter die Beweislage würdigt und nach geltendem Recht sein Urteil fällt.

Dieser Modus hat sich ja unserer Kultur bewährt, um auch auf dieser Ebene Gewalt zu zügeln, um einem Motto zu dienen, das ich in einer Demokratie für fundamental halte: Recht statt Rache.

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