12. März 2006

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Manchmal, wenn ich aus meinem Küchenfenster blicke, stellt sich so ein Gefühl von Entlegenheit ein. Dabei hab ich gerade darüber nachgedacht, daß eine Milliarde sich aus tausend Millionen ergibt. Was wäre das in menschlicher Anwesenheit umgesetzt? Die Zahl, zu deren Erfassung ich mir mit allerhand Bildern behelfen muß, sieht so aus: 1 000 000 000.

Die Bevölkerung Österreichs beträgt rund 8,22 Millionen Menschen. Allein Moskau wird von mehr Menschen bewohnt. Meine Landsleute müßten etwa 121,65fach aufgestellt werden, um eine Milliarde zu ergeben.

Zweimal eine Milliarde Menschen, salopp über den Daumen gepeilt, eine Milliarde in China und eine in Indien, rennen um bessere Jobs. Wodurch sich nicht nur Europas Wirtschaftsgefüge völlig verschiebt. Diese quasi Revision von einigen Jahrhunderten unredlicher Vorteile Europas, die sich aus der Kolonialisierung der Welt ergeben hatten, erreicht uns alle, ganz individuell.

Verwoben mit den Auswirkungen technologischer Innovationsschübe, deren aktuelle Reichweite uns noch gar nicht all zu klar ist. Weil es aber unpraktisch erscheint, solche realen Zusammenhänge zu kommunizieren, verlegt sich ein Teil heimischer Politik auf das Bewirtschaften von kühnen Sündenbock-Theorien.

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Österreich islamisiert? Diese bemerkenswert abstruse Unterstellung der vaterländischen FPÖ ist nur eines der Beispiele, wie man einem soliden öffentlichen Diskurs darüber ausweicht, was uns nicht bloß bevorsteht, sondern schon erreicht hat; daß Europa viele der Vorteile wieder abgeben muß, die es sich seit der Umtriebe spanischer Galeonen und britischer Kaperschiffe großzügig genommen hatte.

Zum aktuellen Volksbegehren der vaterländischen FPÖ hat man in der abgelaufenen Woche Klagen gehört. Es sei durch "Sabotage behindert worden:

Eine Welle der Sabotage überschwappt das Volksbegehren "Österreich bleib frei". Bei uns laufen die Telefone heiß vor Beschwerden, viele wissen nicht, wo sie sich eintragen können, ... [Quelle]

Naja, wenn Leute nicht wissen, wo die Amtsstuben ihrer Gemeinden sind ... In Gleisdorf ist das Rathaus ja sehr markant und leicht zu finden. Davor erlebte ich freitags, einen Gemeindebediensteten, der schon erheblichen Unmut hatte. Weil er einen Dreiecksständer der FPÖ zum xten Male wegstellen mußte.

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Der Grund? War mir nicht geläufig gewesen. Ein Gesetz besagt, daß bei derlei Anlässen in einem Umkreis von 50 Metern um die Anlaufstelle keine Publikationen von politischen Parteien angebracht sein dürfen. Was bedeutet, der recht schmächtige Pfeil und das Wort "Volksbegehren" wären vermutlich unanfechtbar gewesen. Alles weitere auf dem Plakat ist vom Gesetz her gebannt.

Cut!

Am 5. März hatte sich Milan Babic in seiner Zelle in Den Haag erhängt. Der vormalige Präsident der serbischen Enklave Krajina, mitten in kroatischem Gebiet, war wegen Kriegsverbrechen vor Gericht gebracht worden. Er hatte dort seine Schuld einbekannt und gegen den einstigen Präsidenten Jugoslawiens, Slobodan Milosevic, als Zeuge ausgesagt.

Gestern ist Milosevic in seiner Zelle verstorben. Eines natürlichen Todes, wie es heißt. Die "Kleine Zeitung" berichtet:

Der Pflichtverteidiger von Milosevic hat einen Selbstmord seines Mandanten ausgeschlossen. Der britische Jurist Steven Kay sagte dem Sender BBC News 24 am Samstag: "Er sagte mir vor einigen Wochen: 'Ich habe diese Sache nicht so lange ausgestanden, um mir irgendetwas anzutun'". Der Jurist sagte weiter, zwar seien beide Eltern Milosevics durch Selbstmord ums Leben gekommen. "Aber seine Einstellung war genau das Gegenteil. Er war entschlossen, seine Sache auszufechten".

Woran Männer wie diese beiden Schuld tragen, kann nur von Gerichten in ordentlichen Verfahren geklärt werden. Eine andere Kategorie ist Verantwortung, die ja nicht zwingend an Schuld geknüpft ist.

Eine Differenzierung, welche uns allgemein offenbar schwer fällt. Die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, die Auseinandersetzung mit nationalistisch begründeten Gewalttaten, verlangen diese Unterscheidung. Daß Schuld nur den Tätern zufällt, alle anderen aber sich fragen müssen, was sie an Verantwortung zu tragen haben.

[Balkan-Reflex]

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10•06