20. März 2010

Wie sehr mir manchmal die Tage verrutschen, die Abläufe. Zeiten der Unruhe. Ich hab nun schon Wochen viel über die Kinder gesprochen. Über unsere Kinder, also über meinen Sohn und die Kinder jener, mit denen ich drauf zu reden kam.

Daß sich die Katholische Kirche zur Zeit einer so sprunghaft anwachsenden "Mißbrauchsdebatte" ausgesetzt sieht, beschäftigt mich bloß insofern, als mir das rasante Ansteigen der Fallgeschichten und der öffentlichen Diskurse darüber fast gespenstisch vorkommt. Das hat etwas Düsteres. Aber es betrifft nicht bloß den Klerus.

Es betrifft vor allem die breite Akzeptanz von Gewalttätigkeit gegenüber Kindern. Ich erinnere mich nur mehr an recht wenig, was meine eigenen Erfahrungen in dieser Sache angeht und ich weigere mich, diesen Erinnerungen auch nur irgendwie auf die Sprünge zu helfen. Aber ich hab schon lange Klarheit darüber, daß meine Leute nach einem ordentlichen Verfahren in den Knast gewandert wären, wenn sie ihre pädagogischen Vorstellungen je hätten vor Gericht verhandeln müssen. Ich bin gewissermaßen ein Insider.

Mein ganz privater Schrecken ob solcher Zustände ist zu schwer erträglicher Munterkeit erweckt worden, als vor einigen Monaten erstens ein abscheulicher Mensch angesichts des gewaltsamen Todes eines Kindes propagieren durfte, wer alt genug zum Einbrechen sei, sei auch alt genug zu sterben. (Siehe dazu den Eintrag vom 8.8.2009!)

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Zweitens erdrückte mich fast der große Applaus, den diese widerwärtige Proklamation in meinem Land erhielt. Ich habe mich darüber nur schwer beruhigen können. Und ich habe in der Sache manche meiner Mitmenschen wohl etwas strapaziert, wenn ich beispielsweise -- zu meiner eigenen Irritation -- in einem Gespräch mitten auf dem Hauptplatz vor Wut in Tränen ausbrechen konnte, weil ich diesen Applaus für die genannte Abscheulichkeit so unerträglich fand. (Ich habe damals zu Franz gesagt: "Sie sind doch unsere Schutzbefohlenen. Wie kann man die Kinder so preisegeben?")

Und nun empfinde ich diese Wut wieder, denn das umfassende Schweigen, von dem all die Gewalttaten an Kindern umgeben sind, es betrifft keineswegs bloß kirchliche Kreise. Dieses Schweigen zerrt die Majorität einer Gesellschaft in die Mittäterschaft, weil es das Gegenteil von Schutz bedeutet. Es drückt unsere Weigerung aus, Kinder und andere, die Hilfe brauchen, als unsere Schutzbefohlenen zu betrachten, um dem entsprechend angemessen zu handeln.

Es drückt überdies die bewährte Kumpanei in einer lange vorherrschenden Männerkultur aus, in der sich Würdenträger aller Gattungen stets das Recht angemaßt haben, über andere Menschen zu verfügen und mit Nachdruck auf ihre Leiber zuzugreifen; für welche Zwecke auch immer.

Es passiert nicht irgendwo und nicht bloß hinter den verschlossenen Türen, in den Extrazimmern geschlossener Gesellschaften. Es ist in den Geschichten und Biographien vieler von uns. Es waren nicht unbedingt immer sexuelle konnotierte Übergriffe. Mehr noch, es ist dieser breite Konsens, leibliche Züchtigung und mehr als "pädagogisches Mittel" zu akzeptieren, auf dem dann AUCH die sexuell betonte Gewalttat Platz und Verschleierung findet.


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