9. Mai 2011

Gelegentlich denke ich: Bosnien ist wirklich kompliziert. Wann immer ich von dort heimkomme, bin ich irritiert. Manchmal denke ich mir: Das ist noch gar nichts! Augenblicklich fällt mir auf: Pakistan ist erst kompliziert; und dort war ich noch nicht einmal. Aber die Hinrichtung von Osama bin Laden rückt mir dieses Land in's Blickfeld. Pakistans Mischung aus internen und externen Krisenpotenzialen erscheint mir so komplex, daß es mir schwer fällt, eine Vorstellung davon zu bekommen.

Anatol Lieven (King's College, London) hat das im aktuellen profil gerade knapp skizziert. Überdies: Es schwirren mir die Ohren von allerhand Einwänden und Einwände gegen Einwände, ich bekomme auch sehr verblüffende Ansichten zu hören und zu lesen.

Im Eintrag vom 6. Mai 2011 habe dazu schon einige Anmerkungen deponiert, denn ich gehöre zu jenen, welche der Kommano-Aktion der "Navy Seals" skeptisch gegenüber stehen.

Was von etlichen Leuten in meiner Umgebung als -- gut nachvollziehbar -- pragmatische Lösung im Umgang mit einem Massenmörder betrachtet wird, macht mir den Verdacht, mehrere US-Präsidentschaften haben durch ihre Außenpolitik ganz wesentlich zu eben den Problemen beigetragen, deren Lösungen nun auf solche Art von ihnen realisiert werden.

Ich hab nicht vergessen, daß die USA etwa vor einigen Jahren weltweit foltern ließen, auch im EU-Europa, um eigene Gesetze nicht strapazieren zu müssen.

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Syriens Regierung, die zur Zeit ziemlich unter Druck steht und sein Volk entsprechend brutal in die Mangel nimmt, war offenbar ein stets dienstbereiter Anbieter in diesem Geschäft. (Siehe dazu den Eintrag vom 1. Augus 2006!)

US-Regierungen zeigen keinerlei Scheu, solche Deals zu pflegen, US-Militärs haben selbst in Guantanamo neue Standards erprobt, wie weit sich Rechtsstaatlichkeit und Folterverbot unterlaufen lassen. Da würde mich dann durchaus interessieren, was etwa ein breiter gesellschaftlicher Konsens in Europa ganz konkret den staatlich legitimierten Todesschwadronen der USA an Handlungsmöglichkeiten außerhalb der USA zubilligt. Ein Einwand der mir für meine Position zugestellt wurde, lautete:

>>In Amerika müssen selbst Präsidenten vor Gericht, in Amerika klagen Konsumenten gegen Konzerne und bekommen Recht. Deren Rechtsempfinden ist anders als bei uns, aber die von oben herab zu verurteilen - aus einem Land heraus - wo sichs jeder richtet, wo ein Grasser, Mensdorff-Pouilly etc frei herumlaufen, ist anmaßend.<<

Ich hätte etwa den mutmaßlichen Kriegsverbrecher George W. Bush gerne vor einem Gericht gesehen, um geklärt zu wissen, was an dieser Eischätzung dran ist, daß man nämlich ihm und einigen seiner Gefolgsleuten Kriegsverbrechen vorhalten müsse.

Und was heißt "von oben herab"? Ein Untertan würde das scheuen. Dafür hätte ich Verständnis. Aber unsere heutige Vorstellung von Demokratie handelt davon, daß Bürgerinnen und Bürger selbst auf jede Gewaltanwendung verzichten, dafür dem Staat ein Gewaltmonopol übertragen.

Die Verwaltung und die Ausübung dieses Gewaltmonopols verlangt nach Regeln, nach Kontrolle und nach Kritik. Die muß ja, je nachdem, wo man sich als Teil der Zivilbevölkerung angesiedelt sieht, von oben oder von unten kommen. Und wenn sie zuweilen polemisch daher kommt, wird das ein Präsident wohl aushalten können oder müssen.

Kleiner Einschub: Daß "Grasser, Mensdorff-Pouilly etc frei herumlaufern" finde ich insoferne ganz in Ordnung, als ihnen zum Verknacken ein ordentliches Verfahren schuldhaftes Verhalten nachweisen muß. Solange also kein rechtskräftiges Urteil vorliegt, das Einsprüchen standhält, soll niemand weggesperrt werden können.

Nein, die Herren gefallen mir nicht und was ich über sie lese, gefällt mir noch viel weniger. Aber seit der Nazi-Ära wissen wir verläßlich, daß die Wegsperrerei besser nicht so ratzfatz abgewickelt werden kann.

Momentan ziehe ich es vor, noch Zeit zu haben, um von Journalistinnen und Journalisten mit vorzüglicher Reputation genauer zu erfahren, was da in Pakistan geschehen ist und welche Konsequenzen das in genau welchem Kräftespiel hat.

 

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