21. Februar 2012

Individuelle Mobilität ist nicht nur soziale Praxis, sondern zugleich pure Ideologie, Angelpunkt von Mythen, Fetisch-Angelegenheit. Beschleunigung. Reichweite. Grenzen überschreiten. In unserer Mythologie finden wir eine Reihe von Akteuren, deren Taten und Schicksale mit einander verbunden sind und die das in Summe ausdrücken.

Da steht Prometheus für die Kühnheit, den Göttern das Feuer zu entreißen, um den Menschen Licht und Wärme zurückzubringen. Seine Strafe war furchterregend. Phaeton war ein Himmelsraser, der dabei ums Leben kam. Ikarus kam fliegend der Sonne zu nahe und stürzte in den Tod. Einige andere werden noch zu nennen sein.

log1809a.jpg (17175 Byte)

PROMETHEUS IM KAUKASUS

Im realen Leben waren solche Optionen meist wohlhabenden Eliten vorbehalten. Die Reiterei und die leichten Streitwagen mit ihren Speichenrädern sind über mehr als tausend Jahre primär eine Sache der Aristokratie gewesen, wie die Fliegerei zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

In jüngerer Vergangenheit hat der Pöbel genau diese Umstände revidiert. Der Faschismus kam auf dem Fahrrad daher. Und er nahm sich schnell alles, was an Kraftfahrzeugen verfügbar war. Der Maler Hannes Schwarz (Foto) erzählte mir von den enormen Anreizen, die er als begabtes Kind in der Obhut der SS erlebte. Er war in der NS-Ordensburg Sonthofen erzogen worden, wo Segelfliegen und Motorradfahren zu den besonderen Vergünstigungen zählte. Welcher Knabe hätte sich solchen Angeboten entziehen wollen?

log1809a.jpg (12251 Byte)

MALER HANNES SCHWARZ

Der Begiff Faschismus wird heute unsinnig wahllos verwendet. Eigentlich kann er sorgsam nur auf seine drei historischen Grundformen in Italien, Deutschland und Japan angewandt werden. Sicherlich auch auf sein unmittelbaren historischen Derivate, wie sie zu jener Zeit in etlichen Ländern Europas präsent waren. (Alles andere sollte eigentlich nicht gar so großzügig mit verwässerten Vorstellungen behängt werden.)

Ich hab das Thema hier aufgegriffen, weil ich meine, daß die Massenmotorisierung in unserem Lebensraum definitiv ein Kind des Faschismus ist und keinesfalls per Zufall allerhand Parallelen mit dem hat, was wir uns unter „Massenmobilisierung" vorstellen können.

Meine saloppe Behauptung, der Faschismus sei auf dem Fahrrad dahergekommen, bezieht sich auf die proletarische Basis. Mussolini gründete 1919 die „fasci di combattimento", was „Kampfbünde" bedeutet. Da marschierte ja nicht die Oberschicht, die es bevorzugte, große Limousinen zu fahren. Dann brachte sich bestenfalls ein Teil der Mittelschicht automobilistisch in Bewegung, was etwa den Fiat Balilla hervorhebt.

log1809c.jpg (21322 Byte)

PUCH-INSERAT VOM 30.12.1922, "ALLGEMEINE SPORTZEITUNG"

Doch die Motorisierung der Faschisten kam flott daher, auch wenn dabei die Motorisierung des Pöbels dem Kriegsgeschäft gewidmet blieb. Die neuen deutsch-österreichischen Eliten, hochrangige Nazi etc., bevorzugten Kompressor-Mercedes, wie sie Ferdinand Porsche dem Führer konstruiert hatte. Außerdem investierte Hitlers Regime Vermögen in den Automobilrennsport.

Auch da wußte Porsche zu brillieren; bis hin zum „Volkswagen", der allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Serie ging; konstruiert von Porsche, nach einer handgeschriebenen Liste von Spezifikationen aus Hitlers Hand.

Gestützte auf „Käfer"-Teile, gewandet mit dem Know how von Erwin Komenda, entstand nach dem Krieg im Kärntner Gmünd schließlich einer der bahnbrechendsten Sport- und Rennwagen des 20. Jahrhunderts, der bis heute Porsches Namen trägt.

log1809d.jpg (33203 Byte)

MERCEDES SSK, EINE KONSTRUKTON VON FERDINAND PORSCHE

Ich erzähle das, weil unsere heutige Vorstellungen von Automobilismus, vom Kultgegenstand und vom "Fetisch Automobil" aus diesen Zusammenhängen tiefe Prägungen erfahren haben. Diese Geschichte ist außerdem ideologisch stark unterfüttert gewesen. Das Auto mußte auch als Medium für nationale Identifikations-Inszenierungen herhalten. Darin wurzelt übrigens so allerhand an Kontroversen zwischen USA und Europa, die am Automobilismus festgemacht wurden.

[Die Gefolgschaft des Ikarus]

[kontakt] [reset] [krusche]
8•12