27. November 2012

Hier hat jemand gefühlte drei Stunden ausgeharrt, was laut Uhr gerade eine war. Da hat jemand gefühlte 60 Stundenkilometer erlebt, was ihm für die gemessenen 90 ein Ticket eingebracht hat. Dort hebt jemand gefühlte 40 Kilo, was gewogen natürlich keine 60, sonder 15 ergibt.

Kann ja sein, daß diese Art der Kommunikation blumiger Prosa entlehnt wurde. Vielleicht wurzelt es in einer Konfusionsattacke subversiver Kräfte. Auf alle Fälle hebt es die Wahrnehmung des Individuums über die Optionen der Verifikation: Mein GEFÜHL hat Vorrang gegenüber dem, was sich ereignet hat und bestätigt werden kann.

Dürfen wir derlei positiv deuten? Ist eine umfassende Wertschätzung des Subjektiven ausgebrochen? Schätzen wir die individuelle Wahrnehmung anderer so sehr, daß wir dieses Gefühlte würdigen möchten?

Glaub ich nicht. Dieses Gefühlte stammt aus dem Werkzeugkasten der aktuellen Ego-Eliten. Dennoch: "Allgemeine Gültigkeit" ist sowieso auch bloß eine Konstruktion.

Warum muß ich in derlei Dingen gerade so streitbar sein? Liegt das vor allem an einigen Charakterschwächen, die zu bändigen mir nicht gelingt? Ist der Lauf der Dinge so bescheuert? Trifft womöglich beides zusammen?

Um die eigene Wahrnehmung mit dem in Balance zu bringen, was gerade als "Konsensrealität" erfahrbar ist, muß man kein Genie sein. Ein bißchen soziales Lernen bringt einem in der Sache erhebliche Möglichkeiten.

Ich hab dieser Tage über unsere massenmedial geprägte Gesamtverfassung räsoniert, die eine ziemlich kuriose Dominanz unserer Massenkultur forciert, in der allerhand Lücken nach Kräften zugemacht werden, Nischen zu verschwinden haben.

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Das findet Ausdruck in sehr banalen Bewegungen, wie etwa dem "Like-to-watchismus". Das haben Sie gewiß schon entdeckt. Sie dürfen sich erst dann einem Inhalt zuwenden, wenn sie ein "Like" deponiert haben. Sollte Ihnen der gebotene Inhalt dann doch mißfallen, wurscht, wen schert's, der Gesamtauftritt des Anbieters wuselt und wummert nur so von breiter Zustimmung.

Das ist höchst durchschaubar, was weiter nichts macht, weil wir gerade durch den TV-Konsum längst geübt und gelernt haben, daß wir auch als "Realität" hinnehmen, was als "gemacht" offensichtlich ist.

So wie das Konservengelächter bei Vorabend-Comedies oder die "Hoppala-Rolle", die oft im Abspann von Spielfilmen abgespult wird. Die Macher führen uns ihre Machniation als zusätzliche Unterhaltungsquelle, als zusätzlichen Inhalt vor Augen.

Also: Gefühlt ist echt, gewissermaßen gefühlsecht, eh klar. Oder wie es Jörg Vogeltanz für das Filmprojekt "Pantherion" betonte: "Realität ist verhandelbar." Wie treffend! Gut. Akzeptiert. Also verhandeln wir. (Genau davon handelt unter anderem kulturelles Engagement.)

Das berührt übrigens, was ich mit "embedded citizen" meine. Eine durch Medienanwendungen generierte und dominierte gesellschaftliche Realität ist die "Nährlösung", in der unsere Kognition dümpelt.

Ich erachte das nicht als kulturpessimistsche Deutung, sondern bloß als Arbeit an einem stichhaltigen Befund. Natürlich hab ich auch gute Nachrichten in der Tasche. Wir können, wie schon angedeutet, in dieser massenmedialen Situation Nischen qualifizierter Öffentlichkeit schaffen, sichern, ausbauen.

Mit diesen Verfahrensweisen kulturellen Engagements lassen sich die Major Companies des Boulevarsd und Entertainemnts nicht übersteuern, stoppen, eindämmen. Aber tausende der erwähnten Nischen, teils womöglich landesweit vernetzt. würden in lokaler und regionaler Wahrnehmung keinesfalls ignoriert werden.

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Werner Sonnleitner

Ein Beispiel: Ich hab eben verfolgen können, wie Werner Sonnleitner von "Kultur & Begegnung" in Markt Hartmannsdorf einen regionalen Literaturwettbewerb dahin führte, daß eben sein sehr schönes Buch erschien.

In "Wortschatz 2012: Literaturpreis für das Vulkanland... Nachlese", herausgegeben von Peter Simonischek und Brigitte Karner, findet man nicht nur Texte von wenigstens drei Generationen. Es ist auch die Qualität der Stories auffallend, woraus sich sehr eindrucksvolle Schilderungen des gegenwärtigen Lebens ergeben. Derlei ist wiederum Ausgangspunkt und Anregung für soziale Momente.

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Peter Simonischek und Brigitte Karner

Das ist nun ein sehr spezieller Zugang künstlerischer Art. Zu diesen literarischen Formen müssen natürlich für den Ausbau der Nischen qualifizierter Öffentlichkeit noch eine Reihe anderer Verfahrensweisen kommen. Ich betone dabei gerne die drei Bereiche Content, Kontinuität und Community.

Es geht also um relevante Inhalte, um permanente Arbeit und Präsenz und darum, sich um die Community zu scheren, das Publikum, die regionale Öffentlichkeit.

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