22. August 2013

Mein voriger Eintrag hat mich mit Selman Trtovac einen Schritt weiter gebracht. Nun ist auch diese kleine Erörterung auf eine visuelle Ebene herübergekommen. Die alltäglich vorgebrachte Behauptung gegenüber zeitgenössischer Kunst, diese dauerpräsente Phrase als Feuerwerk der Selbstüberschätzung, verdient es geradezu, in der Arbeit gewürdigt zu werden.

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Trtovac hat mir in seine Handschrift übertragen, was zu einer Selbstbestätigungs- Anordnung in der kommenden Ausstellung führen wird. Es ist natürlich doppeldeutig, was Trtovac ein wenig überraschen wird, wenn ich es aufdecke.

Im Oktober 2011 hatten wir die Belgrader Session mit "Treci Beograd" und den "Kollektiven Aktionen": [link] Ich war dort nicht übermäßig mit aktueller Arbeit befaßt, konnte mich also oft dem widmen, was mir auf Reisen zusätzliche Freude macht. Das Lesen, Schreiben, mich umsehen, solchen Möglichkeiten nachgehen.

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Im Dachgeschöß des "Dunavski Pirat" liegt jenes Zimmerchen, in dem ich damals an einem Abend für mich war und mir eine Debatte anhörte, die Josef Beuys vor Publikum, eigentlich mit dem Publikum führte.

Dabei war es zur Vorhaltung gekommen, er sei mit seinem Denken und Tun so "abgehoben". Beuys widersprach und machte sinngemäß geltend, er gehe davon aus: "Wenn ich es denken kann, können Sie es auch denken."

Beuys hat freilich darauf verzichtet, eine wesentliche Kleinigkeit zu betonen, in diesem Gespräch hervorzuheben. Es bedarf dazu, zu diesem "Sie auch", einiger Lernprozesse, ästhetischer Erfahrungen, es bedarf der Reflexionsarbeit. Siehe dazu auch meine Erörterung "was ist kunst?", Eintrag #19 und Eintrag #20!

Wäre noch zu erwähnen, daß Trtovac, als Klaus Rinke-Schüler, sich Grundlagen als Künstler in einem Nahverhältnis zum Geist Beuys' erarbeitet hat. Das ist demnach auf symbolischer Ebene sehr treffend, wie da ein Momentchen zum nächsten kommt, um sich hier in einem kleinen Ensemble zu manifestieren.

Verstehen Sie mich recht, ein schlampiges "Beuyseln" kommt für mich bei meinen Schritten nicht in Frage. Also auch keine unmittelbare Berufung auf Beuys. Doch wir haben darüber zu reden, daß ein geistloses Nachplappern von Halbsätzen, noch dazu in Berufung auf Beuys, womöglich in merklicher Verachtung für zeitgenössische Kunst, zum übelsten Spießertum gehört, das ich mir heute im Kulturbereich ausmalen kann.

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LINKS SELMAN TRTOVAC (TRECI BEOGRAD) UND RECHTS
SERGEJ LETOV (KOLLEKTIVE AKTIONEN) IM "DUNAVSKI PIRAT"

Wer also behauptet, daß Beuys behauptet habe, jeder Mensch sei ein Künstler, dieses quasi-esoterische Geplapper a la Paulo Coelho, um damit eigentlich Geringschätzung für Gegenwartskunst auszudrücken, sollte sich wappnen. Da haben wir Konfrontationen vor uns.

Es bleiben mir noch ein paar Wochen, bis "the track: axiom | südost" zu eröffnen ist. Dieses Geschehen ist auch in den Bereich unserer trivialen Mythen verzweigt. Sammler Max Reder hat eben ein Hochrad aus dem 19. Jahrhundert in die Ausstellungsräume gebracht.

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Sieht man sich die menschliche Mobilitätsgeschichte an, dann repräsentiert diese Maschine eine soziale Revolution; in Ausmaßen und Zusammenhängen, die uns heute nicht mehr klar vor Augen sind.

Es ist keine Lappalie, wie die Beweglichkeit des Geistes sich zur Beweglichkeit des Leibes verhält. Ich habe das eben erst mit Reder erörtert. Allein innerhalb einer Stadt wie Graz kann man das gut veranschaulichen. Man muß sich nur vorstellen, die Pferdestraßenbahn sei noch nicht eingerichtet worden und jemand der in Gösting wohnt, habe in Liebenau zu tun.

Wer sich also kein Pferd leisten und keinen Wagen halten konnte, war auf die eigenen Füße angewiesen. Reder merkte trocken an: "Man ist eben nicht fortgegangen, sondern zuhause geblieben."

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