5. Februar 2014

Der Autor Tom Wolfe schrieb die Kategorie "Radical Chic" in seinem, Essay "Radical Chic und Mau-Mau bei der Wohlfahrtsbehörde" literarisch fest. Ich mag diesen Begriff sehr. Er meint Leute, die in vergleichsweise sicheren Positionen Underdogs und Outcasts verehren.

Bei uns könnte man von "Salonrebellen" reden. Reale Outlaws werden zwar in ihren Codes von ihnen beklaut, liefern uns mit ihrer Kultur allerhand mentale und materielle Dekorstoffe, aber sich ihnen anschließen zu wollen, das ist eine ganz andere Geschichte.

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Rascha (†) aus Petrovaradin (Serbien)

Ungeregelte Gewaltbereitschaft heißt eben, daß man sehr plötzlich sein Leben verlieren kann, wie ich es etwa an Rascha erlebt habe, der keine zwei Wochen nach unserer Begegnung totgeschlagen worden ist. "Radical Chic" bedeutet also, aus sicherem Abstand mit dem Tod flirten.

Um den Faschismus zu verstehen und die gegenwärtige Verfassung einer stellenweise präfaschistischen, durchgängig Frauen- wie menschenverachtenden Männerkultur deuten zu können, hilft es, das Gegensatzpaar „Männchen/Kerl“ zu durchschauen.

Das Konzept „Männchen“ muß gar nicht erst erklärt werden, weil die Simplifizierung des Ganzen so weit gediehen ist, daß wir über die "Männchen" alles wissen, wenn wir den „Kerl“ begutachtet haben, da „Männchen“ all das nicht sind, was den “Kerl“ ausmacht. Das "Männchen" ergibt sich demnach als „Nicht-Kerl“ aus dem dominanten Rollenmodell.

Im vorigen Eintrag habe ich von der "Standard-Kerl-Nummer" erzählt, die via Hollywood seit Jahrzehnten transkontinental promotet wird, die zugleich weltweit in privaten Zirkeln immer wieder neu konstruiert wird. Dabei ist die ostentative Frauenverachtung im Kino inzwischen nicht mehr lückenlos präsent, respektive in teureren Streifen subtiler verpackt.

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Gang-Mitglied der Latin Kings (Foto: Javier Ramirez, Creative Commons)

Heute finden wir auch „harte Frauen“ in manchen Spielfilmen, genauer eigentlich „harte Mädels“. Ich habe aber den Verdacht, die sind bloß aus dramaturgischen Gründen eingebaut, um der Unterhaltungswert zu steigern, und müssen bei genauerer Untersuchung quasi als „inverse Kerl-Nummer“ gelten.

Damit meine ich, im erfreulichen Blick auf ein energiegeladenes Arsch- und-Titten-Wunder mit ihren Kampfsport-Kompetenzen werden wir Jungs daran erinnert, welche Art Kerl wir mindestes sein müßten, um „diese Braut“ flachlegen zu können. Denken Sie bloß nicht, daß ich hier übertreibe, sehr wahrscheinlich liege ich damit noch im moderateren Bereich möglicher Deutungen.

Aus Zeitgründen spare ich hier die Schilderung der aufschlußreichen „Chicks with Guns-Nummer“ aus. Aber um die Fundamente des Faschismus auszuleuchten, sind das a) Ästhetisieren von Gewalt und b) das erotische Aufladen von Waffen brisante Themen, die nicht ignoriert werden können.

Auch das ist bis in die Gegenwart fixer Bestandteil von „kerlhaften“ Männerkulturen. Großbusige Bikinimädchen mit Kalaschnikovs können Sie im Web recht leicht finden. Es wird später noch nötig sein, das Thema Maschinenverliebtheit abzuklopfen.

Was nun die Propagandainstitution „Welt der Spielfilme“ angeht, gibt es keine offizielle Erklärung für den irritierenden Umstand, daß in so vielen Streifen eine flatterhafte Weiblichkeit es – wie schon erwähnt – offenbar nicht nur herzerwärmend, sondern ausgesprochen geil findet, von „richtigen Kerlen“ herumgeschubst und gedemütigt zu werden.

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Das läuft, wie angedeutet, bei teuren Filmen etwas dezenter, aber in den B-Movies wird es häufig ganz offen zelebriert. Die Mannhaftigkeit erstarkt an einer Frauenwelt, deren „Hühnchen“, „Zirtronentörtchen“, „Schnecken“ und "Schnallen" es im Modus „Alles Nutten, außer Mutti“ geradezu beglückend finden, für den Kerl eigentlich bloß eine völlig austauschbare „Fotze“ zu sein.

Stets darf der „Kerl“ seine feuchten Träume von sich selbst auf Kosten anderer ausbauen. Doch die Königsklasse ist natürlich der einsame Held. Ein eher schweigsamer Typ, lapidar auf jeden Fall, Selbstironie nicht ausgeschlossen, im Sinne der seit Jahrhunderten bewährten Marke „Edler Wilder“ geschmiedet. Er ist kein Schläger der Sorte „Betrunkener Neandertaler“, sondern ein subtiler Kämpfer, dem der Schmerz ein Freund zu sein scheint..

Im Gegensatz zum lobotomieverdächtigen Typus „Betrunkener Neandertaler“, dem Schmerz egal ist, weil seine Wahrnehmung dafür nur noch im Reptiliengehirn erhalten blieb, ist der schweigsame Edelkerl quasi ein Zen-Buddhist des Schmerzes. Er findet im Kampf höhere Weihen und raunt uns auf die Art zu, daß Gewaltanwendung und „höhere Prinzipien“ vereinbar seien.

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Das ist auch dringend nötig, diese beiden Optionen zu verknüpfen, Schmerzerfahrung und „höhere Prinzipien“, weil wir nicht nur eine kreatürliche Neigung haben, Verletzungsgefahren auszuweichen. Gab es gerade frisch eins in die Fresse, muß man sehr motiviert sein, um nicht wegzurennen, sondern dranzubleiben. Körperliche Ertüchtigung im Zuschlagen hilft dabei, aber ohne mentales Rüstzeug, um andere flach zu machen, reicht das einfach nicht.

Um zu illustrieren, was ich meine: Ich habe einen britischen Profi-Schläger sagen hören: „Die Frage ist nicht wie groß der Hund ist, sondern wie viel Kampf im Hund steckt.“ Man durfte den Mann schon fürchten, wenn er bloß lächelte. Von solchen Professionals der Gewalttätigkeit kenne ich freilich kein flotten Sprüche, wie wir sie im Kino hören.

Wo jemand gewohnt ist, unter den Jungs, die aufeinanderprallen, meist der härtere unter den harten Burschen zu sein, bildet das offenbar eine ironische Poesie heraus, die etwa in solche Statements mündet: „Er sah aus wie eine Bulldogge, die eine Wespe kaut.“

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