5. Mai 2014

Wie halten wir es denn mit der "Freiheit der Kunst"? Ach, daran darf nicht gerüttelt werden. Zumindest innerhalb "gewisser Grenzen", auch bekannt als "Grenzen des guten Geschmacks".

Kommt mir jemand allerdings mit gewissen Grenzen, entfährt mir leicht ein "Schnauze!". Oder österreichischer: "Halt die Goschn!" Damit will ich eigentlich nur ausdrücken: "Was für ein dummes, unüberlegtes Geschwätz. Was für trübe Kategorien, die niemandem nützen!"

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"Ein Jude kommt selten allein" (Quelle: "Entweder Broder")

Der Gummiparagraph mit den angeblichen gewissen Grenzen ist ein Phantasma, mit dem sich vor allem repressive Leute gerne bemänteln. Der "gute Geschmack" ist immer nur ein temporäres Phänomen. Zum Glück ist unsere Rechtskultur komplexeren Aufgaben gewachsen. Das heißt dann etwa, daß eine Abwägung erfolgen muß, wenn zwei Rechtsgüter kollidieren.

Ich gebe ein simples Beispiel. Es fiele mir leicht, eine künstlerische Konzeption zu verfassen und diskursiv abzusichern, die mir eine markante "Intervention" als künstlerischem Akt empfehlen würde; nämlich jemandem eins in die Fresse zu hauen. Einfach so oder mit gutem Grund, egal. Je nach Konzeption könnte ich verschiedene Entscheidungen treffen.

a) Ich ziele auf jemanden, den ich als schwerer Brocken mühelos zusammenfalten könnte.
b) Ich beziehe jemanden in den künstlerischen Akt ein, der mir zwar physisch gewachsen wäre, aber dank milder Biographie an meine Gewalterfahrungen nicht heranreicht, mit also dadurch unterlegen wäre.
c) Ich zerre jemandem in die Kunst, der größer und schwerer ist als ich und mit bloßer Faust töten könnte; sagen wir, weil gerade viel von der Ukraine die Rede ist: Vitali Klitschko.

Nehmen wir Variante c), weil das konzeptionell wirklich interessant wäre. Ich hätte also das Konzept geschrieben, Klitschko aufgesucht, zwei Kameraleute im Schlepptau, und... Kunst!

Konsequent müßte ich, falls ich aus dem Koma zurückgeholt werden könnte, vor Gericht landen, denn ich war der Aggressor, habe zuerst zugeschlagen, ganz im Dienste der Kunst und im Dienste der Freiheit der Kunst.

Zapp! Pfffrackkkk! Finster. Kunst!

Der Richter, nehmen wir an, ein kunstsinniger und kenntnisreicher Mann, würde mir erlauben, sogar bei der Urteilsverkündung im Rollstuhl sitzenzubleiben. Er möchte meine Verurteilung freundlich kommentiert:

"Ich bewundere ihr künstlerisches Konzept, für das ich Ihnen einen Platz in der Kunstgeschichte sichern wollte, wenn das in meinen Händen läge. Ich habe die Dokumentation der Umsetzung genossen, das dumme Gesicht von Klitschko, als er an ihrer Faust die Schwelle zur Kunst überschritt, seine ironische Reaktion, ihre Fahrt auf die Intensivstation und die Kühnheit, sich in diesem derangierten Zustand nun auch noch der Welt zu zeigen.

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Vladimir (links) und Vitali Klitschko
(Foto: Vergo, Creative Commons
CC0 1.0)

Wir alle, die wir Konzeptkunst zu schätzen wissen, haben aus der Performance und ihren Konsequenzen fundamentale Denkanstöße bezogen. Ich bin auch der erste an ihrer Seite, um die Freiheit der Kunst zu verteidigen. Das ist klar. Wäre also darüber zu richten, sie gingen frei und dürften unbehelligt aus meinem Gerichtssaal rollen.

Wir haben aber noch eine andere Sache zu verhandeln gehabt, überdies formell. Wir beide wissen, der Staat kann eine Anfechtung seines Gewaltmonopols nicht dulden. Ihr Erstschlag gegen Herrn Klitschko ist daher unannehmbar und muß sanktioniert werden. Es bleibt mir nichts anderes übrige, als Sie zu verknacken. Aber ich darf Ihnen versichern, daß die Anstalt, in welcher Sie nun Schutz und Schirm finden werden, über rollstuhlgerechte Zellen verfügt."

So, das hätten wir. An der Freiheit der Kunst ist nicht zu rütteln. Die besteht ohnehin hauptsächlich in der autonomen Definitionshoheit. Das muß man sich erst einmal klar machen. Die Freiheit der Kunst ist kein kindisches Spielchen darum, daß jemand keine Rechenschaft geben möchte. Sie ist die Versicherung, daß wir Kunstschaffenden über Vertrautes und Bekanntes hinausdenken und hinausformulieren möchten, ungebunden an etablierte Realitätskonstruktionen und Realitätsbeschreibungen.

Damit komme ich zur Frage: Was darf Satire?

Ich zitiere ich weiß nicht wen, wenn ich gleich selbst antworte: Alles!

Na, selbstverständlich alles und nicht weniger. Na, selbstverständlich um den Preis, entsprechendes Echo zu vernehmen. So ist es mir übers Wochenende auch ergangen, da ich von Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samad erzählte. (Siehe den vorgestrigen Eintrag!)

Broder war mir früher eher ein Ärgernis gewesen, Samad schlicht unbekannt. Nun habe ich mich bei ihrer Serie "Entweder Broder" vorzüglich amüsiert und außerdem allerhand Denkanstöße abgeleitet.

Ich würde jederzeit, wenn das ginge, fünf Düringers in die Waagschale werfen, um mir dafür einen Broder zu sichern. Ironie bis unter die Gürtellinie statt Heuchelei und Anbiederung. Geschliffene Polemik statt geöltes Gesäusel. Ja, so bin ich und das gefällt nicht grundsätzlich.

Ich bin unerbittlich für das Recht auf billige Unterhaltung, hab aber Null Interesse an und Null Toleranz für Small Talk. Dummschwätzerei empfinde ich als ebenso große Zumutung wie gängiges Phrasendreschen. Leere Containersätze gehören sofort in die Quetsche!

Manchmal würde ich sogar betonen: Lieber jemanden beleidigen, als ihn oder sie gar nicht aus dem Tiefschlaf zu kriegen.

Österreich wurde freilich davon geprägt, daß hier die Muttermilch von süßen Säfte der Anästhesie durchsetzt ist. Wir kennen die Gründe nicht, wir verstehen die Mechanismen nicht, wir können nur die Wirkung feststellen und über die Quellen mutmaßen: Schon mit der Muttermilch aufgesogen.

Freud hat daran ebenso zu rühren versucht wie Ringel, Reich auch, ach, die Liste der Forscher wäre lang, die Erklärungsversuche kommen weiters in vorzüglicher österreichischer Literatur vor, in unserem Filmschaffen, aber dennoch bleibt im Dunkel, was uns da treibt.

Daher noch einmal: Was darf Satire? Alles!

Am besten möge sie Heuchelei kontrastieren, um sie besser erkennbar machen, dem Obskurantismus eine Mauer sein, gegen die er sich bis zur Deutlichkeit wundlaufen soll, der Geschwätzigkeit eine Schlucht sein, in der sie zum unterhaltsamen Echo ihrer selbst wird.

Die Satire möge uns verstören, auf jeden Fall aufmuntern und im besten Fall irritieren, wie das im Buddhismus ein Koan tut. Das schafft im günstigsten Fall Platz für neue Gedanken, in der Billigvariante unterhält es wenigstens blendend.

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Broder besucht Lea Rosh (Quelle: "Entweder Broder")

Das mag unter manche, vielleicht unter jede Schmerzgrenze gehen. Broder hat mich darin verblüfft, als er mit einem großen Kasten auf dem Dach des gepimpten Volvo unterwegs war. Ich konnte erst nicht erkennen, was das sein oder werden wolle.

Es zeichnete sich freilich ab, als Samad ihn mit zahlreichen Einwänden davon abbringen wollte, ihn über seine eigenen Grenzen bis zu einer nächsten begleitete, wohl ahnend, nun könnte der goscherte Jude Prügel beziehen. Eben damit hätte auch ich gerechnet. (Vielleicht kam es so und wurde bloß nicht gesendet.)

Broder, ein erklärter Gegner des "Denkmal für die ermordeten Juden Europas", war eben dort hin unterwegs, als Initiatorin Lea Rosh öffentlich das fünfjährige Bestehen dieses Denkmals feierte.

Der Kasten auf dem Volvo-Dach erwies sich als Kostürm aus Latten und Leinen, passend bemalt. Broder schlüpfte hinein, um so zu einem wandelnden Stein des Denkmals zu werden, entzog sich dem händeringenden Samad und ging zur Feier. Das war nicht nobel, aber interessant...

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