14. Dezember 2015

Cynthia Breazeal vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), 2002 Leiterin des Robotics Lab, stellte die Frage: "Wenn dein Roboter wie ein Freund handelt, ist er dann wirklich dein Freund?" Das ist eine wesentlich brisantere Überlegung, als man eventuell auf Anhieb vermuten möchte.

Ist es angebracht, die Erfahrungen mit und Vorstellungen von menschlichen Beziehungen auf Dinge zu übertragen; zum Beispiel Maschinen? Bisher war es üblich, von einem Fetisch zu sprechen, wenn wir Dinge mit spezieller Bedeutung aufladen, womöglich zu ihnen eine nennenswerte Beziehung herstellen.

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Der Replikant Roy Batty ("Blade Runner")

Beziehungen mit Haustieren, so höre ich, werden manchmal sogar über jenen mit Menschen eingestuft. Manche Tierliebhaber unterstellten den Tieren außerdem, sie hätten quasi menschliche Züge und würden "jedes Wort verstehen", das man ihnen zuwirft. (Merkwürdig!)

John P. Sullins thematisierte 2011 "The Rise of the Robotethics". Er bringt die Wortschöpfung Robotethics mit Gianmarco Veruggio in Verbindung, der sie 2002 bei einem Workshop des IEEE (Institute of Electrical and Electronics Engineers) verbreitet haben soll.

Solche Überlegungen entzünden sich nicht bloß am Nachdenken über Waffensysteme oder über Veränderungen der der Arbeitswelt in Fabrikshallen. Man kann ins Grübeln kommen, wenn man den Ausführungen von David Levy folgt, wo er zum Beispiel über "Robot Prostitutes as Alternatives to Human Sex Workers" nachdenkt.

Das wirkt vorerst etwas skurril, da noch astronomische Summen für technische Lösungen aufgewandt werden müssen, während wir weniger denn je Hemmungen zeigen, die Bordelle Europas mit Frauen aus verarmten Gegenden zu füllen, wo hierzulande selbst einheimische Frauen in manchen Beziehungen wie Haustiere gehalten werden.

Joel Aschenbach faßte 2007 in der Washington Post   Levys Ansichten unter dem Titel "Programmed for Love" zusammen und folgerte: "In the future, people will fall in love with robots." Überdies, mit Augenzwinkern: "Now send the kids into the other room while we mention the obvious, bizarre implication: Someday, people will have sex with robots."

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The Bride of Frankenstein (1935)

Aus Büchern und Filmen kennen wir das Motiv in vielen Varianten. Ridley Scott's fulminanter "Blade Runner" (1982) [link] ist die Verfilmung eines Romans von Philip K. Dick. Der Film zeigt uns so eine Situation, die als Amour fou beginnt, enorme Barrieren überwinden muß, da sich der Held der Geschichte in eine Replikantin verliebt, die ein so hochwertiges Produkt der Tyrell- Corporation ist, daß sie sich selbst für einen Menschen hält.

Das Thema wirft einigen Klärungsbedarf auf. Aschenbach bezweifelt, daß Levy ein Experte für das Thema menschlicher Liebe sei, vermutet aber: "He seems more like a partisan in a technological debate most of us didn't realize was going on."

Eva Wiseman fragte gestern im Guardian: "Sex, love and robots: is this the end of intimacy?" Dabei ist etwas Trennschärfe bei den Begriffen hilfreich. Sex und Liebe sind ja keine Synonyme.

High End Sex Dolls, deren Beschaffenheit sich menschlicher Erscheinung annähern, sind schon verfügbar, aber so teuer, daß sie eher als Mietobjekte für Stunden genutzt werden. Levy erwähnt Preise zwischen 5.000,- und 7.000,- Dollar pro Puppe, das könne bei manchen Maschinen bis zu 130.000,- Dollar hochgehen.

In einem Tokyoter Service Center (Doll No Mori) sei die 70 Minuten-Session für umgerechnet 110,- Dollar zu haben und der Boss bezeichnet das Investment als äußerst lukrativ. "Nearly all our customers choose our twohour option."

Berichte bestätigen, hier gehe es vielfach nicht bloß um Libido, sondern auch um Liebe, um intensive emotionale Beziehungen mit Puppen. Doch das sind noch keine Roboter.

Apropos Trennschärfe. Anthropologin Helen Fisher [link] vertritt die Ansicht, Liebe sei mächtiger als der Sexualtrieb: "Humans have evolved three different brain systems to encourage mating: sex drive (lust), feelings of attachment (trust), and romance (being in love)."

Bedeutet das nun, wir hätten uns durch die Erfahrung mit Fetisch-Beziehungen schon langsam vorbereitet, uns dereinst in Roboter zu verlieben, sie sogar heiraten zu wollen?

Im Ausklingen von Mythos Puch III [link] hatte ich heuer etliche Debatten zu dieser populären Art der Maschinenverliebtheit, die sich vor allem auf Autos und Motorräder bezieht. (Klopfen Sie einmal die Worte "boy love car" in eine Suchmaschine!)

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Blade Runner Rick Deckard und die Replikantin Rachael

Eine der interessantesten Schlußfolgerungen aus diesen Erörterungen lautet: Die hinfällige, wegrostende, zerfallende Maschine schafft es, daß ein Mensch sich in sie verliebt und sichert so ihr Weiterbestehen, ja, eigentlich ihr "Überleben". Das meint, die Maschine weckt Emotionen und bindet einen Menschen an sich.

Kann nicht sein? Na, täuschen Sie sich nicht! Schauen Sie doch genauer hin, was wir uns in rund einem Jahrhundert kulturell angeeignet haben, um Maschinen, Emotionen, Liebe und Sex mit Maschinen zu verknüpfen.

Was hier an sozialer und kultureller Praxis stattfindet, reicht von der Alltagskultur bis zu avancierten Kunstformen. Es zeigt sich unübersehbar durch eine Volkskultur in der technischen Welt, aber auch in sehr raffinerten und subtilen Formen.

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