16. Februar 2016

Heute ist etwas Indiskretion unausweichlich. Ich muß aus privater Korrespondenz zitieren, ohne gefragt zu haben, denn wer weiß, mein Gegenüber könnte ablehnen oder aber auch zu weit gehen. Ich habe mit Kulturwissenschafter Matthias Marschik nun reichlich Erfahrung gesammelt, wie Teleworking funktionieren kann. Eben geht unser zweites gemeinsames Buch ins Finish und wir wohl bald verfügbar sein.

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Martin Krusche & Matthias Marschik:
„Der kurze Sommer des Automobils. Erinnerungen an die Siebziger Jahre“

Zwei Autoren, ein Verleger, eine Grafikerin, das ist die Minimalbesetzung, um über offenen Fragen am Konsens zu arbeiten, etwa der Frage nach dem Buchtitel. Verleger Richard Hollinek blieb gemütlich: „Macht Ihr Euch aus was Euch gefällt für mich passt beides."

Ich fragte Marschik mit zusammengezogenen Augenbrauen: „welcher meinung sind wir denn?", kommentierte Hollinek mit: „die macht ist mit uns." und schob nach: „haben wir konsens, auch ohne uns zu hauen?" Marschik antwortete überzeugend: „Na ja, ich bin klarerweise der ersten Meinung, denn der Vorschlag ist von mir."

Darauf schrieb ich an die ganze Runde: „ich darf sagen: marschik und ich konnten uns ohne derbe worte oder raufhandel einigen, daß diese knappere form für vorne paßt, den rest sollte der klappentxt schaffen... falls die blühende grafik das werte publikum nicht schon eingesaugt hat."

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Das beantwortete Marschik wiederum auf privater Ebene: „Natürlich hast Du nur deswegen unseren Verzicht auf Raufhändel erwähnen können, weil die räumliche Distanz so exorbitant ist, dass eine physische Austragung des Konfliktes mit zu großem Aufwand verbunden gewesen wäre. Sonst hätten wir das gewiss auf der Bluatwies'n ausgefochten!"

Da ich nach den letzten Jahrzehnten der Heldenposen müde bin, war zu antworten: „aber wir wissen natürlich beide, daß ich das meide. meine zahnärztin kostet so schon viel genug. also werde ich auch nicht in deine faust rennen. so ist das."

Doch der grobe Kerl konnte sich eine kleine Drohung nicht verkneifen: „Hoffentlich werd ich Deine Nachgiebigkeit nicht irgendwann mal ausnützen!" Ich erwiderte: „so ein schuft darf man nicht sein!" Diese Mahnung verstand er: „Eh nicht! Aber steckt nicht in jedem Menschen zumindest ein klitzekleiner Schuft?" Ich meinte: „des is a fangfrage, gell?"

Marschik: „Und außerdem: Was wissen wir, wie wir in 20 Jahren sind?" Meine Antwort von heute morgen: „naja, womöglich erkaltet..." Dabei möchte ich es vorerst bewenden lassen. Da ich meine Zahnärztin erwähnt habe, die geht mir gerade schmerzlich ab; ganz im Sinn des Wortes.

Nun hab ich die Eigenheit, daß mir jegliche Art des Arztbesuches viel abverlangt. Eine merkwürdige Konsequenz früherer Verwüstungen. Daher meide ich es, in dieser Frage neue Bekanntschaften zu machen. Also warte ich beharrlich auf die Rückkehr der vertrauten Ärzte, was nach beruhigenden Stoffen verlangt, denn Zahnschmerzen haben weit mehr Duchsetzungskraft als andere Schmerzvarianten, die ich kenne.

Je nach Befindlichkeit bewähren sich dabei unterschiedliche Kombinationen und Dosierungen. Letzte Nacht habe ich Tabletten plus eine Flasche Rotwein bevorzugt. Dabei verebbt der Schmerz fast vollkommen. Es bleibt ein Rest davon lebendig, der so freundlich klingt, wie ein Cello beim Spielen von Barockmusik.

Das sind also Befindlichkeiten, in denen ich "Fiat Lux" II konzipiert habe, den zweiten Abschnitt unseres kollektiven Kunstprojekts. Da wird nun ausgelotet, was den Kontrast zwischen "Automobil 20" und "Automobil 21" ausmacht.

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Die Arbeit daran hat mich auf einen erstaunlichen Schlüsselpunkt gebracht, über den sich die Geschichte vermutlich klar machen läßt: "Die schöne Frau als Fetisch und Beute". Die Vorgeschichte ist eklatant. Seit sich das Fahrrad als "Niederrad" durchgesetzt hat, eine Entwicklung, die das Automobil begründete, haben wir eine völlig neue Art des Kampfes um die Silhouette des Frauenleibes.

In der Ära, da Frauen aus den Einschnürungen befreit werden sollten, das "Reformkleid" die Stofflast von den Hüften auf die Schultern verlagern mochte, um ein Aufatmen zu ermöglichen, war es noch ein weiter Weg, bis etwa die Frau in Hosen öffentlichen Raum betreten konnte, ohne attackiert zu werden.

Doch wie wurde schließlich der aufgeschnürte Frauenleib mit dem Automobil verwoben? Ich hab hier in "Leiblichkeit und Weiblichkeit: Die mechanische Braut" [link] begonnen, dieses Thema zu erschließen.

Warum das nun einen Knackpunkt im Umbruch zwischen "Automobil 20" und "Automobil 21" ausmacht, also zwischen den Automobilkonzepten des 20. und des 21. Jahrhunderts, werde ich noch darlegen.

.-- [Fiat Lux] --

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