| 11. März 2016 Die langen Arbeitstage, an denen mir klare Pflichten auferlegt sind,
        verlangen nach einem Gegengewicht. Wo mein Geist an der Kette lief, um Aufgaben zu
        erledigen, möchte er anschließend herumtollen; oder sich einfach auf unerwartetes
        Terrain tragen lassen. 
 Srdan Golubovic: "Krugovi"
        (2013) Es wäre töricht, solche Anregungen vom
        staatlichen oder vom privaten Fernsehen zu erwarten, weshalb ich mein TV-Gerät schon vor
        vielen Jahren weggeworfen habe. Es gibt bei den Sendern keinerlei breiten Konsens, der von
        einem kulturellen, beziehungsweise kulturpolitischen Konzept handeln würde, welches der
        Rede wert wäre. Diesem flimmernden Mangel läßt sich heute
        leicht entkommen. In meinen Jugendtagen wußten wenige Leute sich Super 8-Filme zu
        beschaffen, von trivial bis cineastisch. VHS-Videos versenkten diesen Schmalfilm-Sektor
        und eröffneten der privaten Programmgestaltung weite Felder. Mit der DVD-Kultur boomte das Bonus-Material
        und mein Faible für das "Making of" konnte wachsen. Heute ist für mich etwa Youtube
        eine unverzichtbare Quelle von tausenden Minuten an Dingen und Themen, mit denen ich mich
        vollsauge; ergänzt um allerhand sachspezifische Kanäle. 
 Søren Kragh-Jacobsen: "In der
        Stunde des Luchses" (2013) Und Spielfilme. Mir ist eine ungebrochene
        Begeisterung für das europäische Kino geblieben. Vom balkanischen Süden bis in den
        hohen Norden werden die Geschichten vom Menschsein bewegend dargelegt. Auch Richtung Asien
        bleiben meine Blicke wach. Wie wohltuend, wenn die Werke nicht immer auf
        schlanke 90 Minuten getrimmt sein müssen. Gestern hat mir Regisseur Andrei Swjaginzew
        gezeigt, wie man sich im Erzählen Zeit läßt. Der Film darf zweieinhalb Stunden dauern
        und ruhige Einstellungen haben, wie ich sie nur mehr selten zu sehen bekomme, wie sie etwa
        bei Akira Kurosawa Standard waren. Hiob trifft Leviathan. An einer Stelle sagt
        der Bürgermeister zum Automechaniker: "Du solltest das Gesicht der Macht
        kennen." Es vollzieht sich, was auch Wesen der Griechischen Tragödie ist. Mit
        jedem Dreh wird die Geschichte schlimmer. 
 Andrei Swjaginzew: "Leviathan"
        (2014) Warum sollten man sich derlei traurige
        Geschichten ansehen, wo doch die Welt voll davon ist und uns das Elend inzwischen so
        unübesehbar nahe rückt? In einem Reservat des Wohlstandes, das uns gegönnt ist, haben
        wir, wie eingangs angedeutet, erhebliche kulturpolitische Mängel zugelassen. Das Erzählen als kathartisches Mittel ist
        weitgehend durch ein unterhaltsames Dröhnen ersetzt, dessen Effekte dem Gegenteil
        gewidmet sind, der Anästhesie. Gut, das soll wählen, wer will. Im Erzählen der
        Schicksale ordnen wir unsere Gedanken, denn wer erzählen soll, muß dazu Überlegungen
        anstellen, Entscheidungen treffen. 
          
            | Im Zuhören sind wir unseren Emotionen
            gewidmet und der Reflexion ausgeliefert. Jemand erzählt, andere hören zu, das ist
            übrigens eine elegante Anordnung menschlicher Gemeinschaft. |  | Wir haben das in unserem
        Bereich der "Talking Communities" zum grundlegenden Prinzip gemacht. Das
        hatte kürzlich mit dem exzellenten Graphic Novelist Chris Scheuer eine außergewöhnlich
        dichte Session ergeben. Ein Abend, der belegte, daß Menschen sogar im Stehen bereit sind,
        einem Gespräch rund eine Stunde lang zu folgen: [link] 
 Von links: Chris Scheuer, Ewald
        Ulrich und Erich Rechberger Heute Abend werden wir im Schloß Freiberg die
        nächste Runde dieser Art zusammenführen. Alte Meister aus der Industriearbeit erörtern
        mit uns die Fragen nach "Handfertigkeit und Poesie". Das Thema lautet: "Die
        Ehre des Handwerks": [link] |