31. Oktober 2016

Ich hab es gestern schon angedeutet, Heimat und Vaterland sollten nicht gleichgesetzt werden, sind keine Synonyme. Was wir bisher erfahren konnten, wo wir Menschen um Feedback baten, korrespondiert mit vielen literarische Zeugnissen, die auffindbar sind.

Man könnte es etwas polemisch verkürzen und so zusammenfassen: Die Heimat ist eine Sache der Individuen und der persönlichen Erfahrungen. Das Vaterland ist eine Kategorie von Kollektiven.

Familie, Clan, Dorfgemeinschaft, Staatsvolk, ganz egal, es ergeben sich immer Fragen nach den Modi, um ein Wir herzustellen und ein Wir-Gefühl zu pflegen. Das ist stets auch mit Fragen der Definitionshoheit verbunden. Wer darf sagen, was es ist?

Dazu kommen die Wirkungen von Geschichtsschreibung und überhaupt, die Effekte durch Medienanwendung. Dabei haben wir heute eine völlig neue Situation der Wechselwirkung unterschiedlicher Massenmedien, die meine Großeltern noch nicht kannten.

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Geschichtsschreibung. Ich hab bei meinem Besuch in Stainz die Büste des Erzherzog Johann entdeckt. Bei Österreichs Hang zur Operette wird der Steirische Prinz ja gerne dafür beachtet, daß er in romantischer Liebe eine bürgerliche Frau geheiratet hat, die Postmeisters-Tochter Anna Plochl. Das ist ein sozialgeschichtlich ziemlich bemerkenswerter Aspekt seines Lebens.

Doch sein Wirken reicht darüber wesentlich hinaus. Wirtschaft, Technik, Kultur, ein Mann mit auffallenden Verdiensten in dieser Zeit des Umbruchs zum anbrechenden Ende der Feudalzeit; zumal die Habsburger im 19. Jahrhundert nicht gerade reich an bemerkenswerten Persönlichkeiten waren, die für das Volk ein Gewinn gewesen wären.

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Daß Johann, der zum Kaiserhaus gehörte, außerdem Bürgermeister einer kleinen Gemeinde wurde, nämlich Stainz, war ein historisches Novum. Auf dem Stainzer Hauptplatz wurde sein diesbezügliches Dankesschreiben in Stein gehauen. Eine kuriose Würdigung. Der Grundherr als "Freund" des Untertanen, das ist freilich eine recht drollige Vorstellung und wäre damals wohl kaum von all zu vielen Leibeigenen bestätigt worden.

Nehmen wir an, die Formulierung ist Ausdruck üblicher Höflichkeit in der Korrespondenz. Es spricht dann auch nichts gegen eine romantische Aufwertung des Aristokraten in unserem Verständnis, was "Das Steirische" sei, denn so können komplexe Zusammenhänge vorerst einmal greifbar und begreifbar gemacht werden. Es ist außerdem unbestritten, daß er in diesem einst sehr ärmlichen und rückständigen Land etliche Bereiche zum Glänzen gebracht hat.

Die Frage ist dann, ob daraus abgeleitete Narrative auch befragt werden dürfen, gegebenenfalls in Frage gestellt. Natürlich putzt sich Stainz für seine Leute und seine Gäste heraus. (Ich halte Stainz übrigens für einen architektonisch sehr interessanten Ort.)

Ganz klar, daß man dort Erzherzog Johann betont, andere Teile der Ortsgeschichte nicht gleichermaßen herausstreicht; etwa Stainz als den Angelpunkt enthusiastischer Nationalsozialisten, wo es schon 1932 ein Nazi in den Gemeinderat geschafft hatte.

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Wer darf also die Geschichte und Geschichten erzählen? Was wird dabei unterstrichen, was abgeschwächt und was eher verschwiegen? Lassen Heimat und Vaterland eine Gleichzeitigkeit verschiedener Narrative zu, auch Widersprüchlichkeiten? Kann es darin Dissens geben, der bestehen darf? Wir solcher Dissens als Bereicherung erlebt, da er Pluralität ausdrückt? Wird Dissens als "Bedrohung der Identität" empfunden? Muß "Wahrheit" produziert werden, indem man Widersprüche eliminiert?

Aktuelle Querelen rund um die 2016er Bundespräsidentschaftskandidaten Hofer und Van der Bellen zeigen uns zum Beispiel via Facebook, daß sich schnell Lager bilden, die a) Heimat und (Vater-) Land gleichsetzen, und b) dabei keine zwei Narrative zulassen, sondern die eine Position gegen die andere stellen.

Wie könnte denn, falls das jemand wollte, eine jahrhundertealte Kultur "abgeschafft" werden? Und was wäre eine "jahrhundertealte Identität"? Welcher Art wären solche Phänomene, vor allem in einem Österreich, das die längste Zeit ein multiethnisches Imperium war? Es gibt dazu keine Erklärungen, nur Behauptungen.

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Österreich bleibt rotweißrot,
Quelle: Facebook, 2.9.2016

Wäre vermutlich hinzunehmen, daß jemand sein Heimatgefühl individuell, fallweise auch "vaterländisch" gestalten und begründen möge, das muß den Menschen freistehen. Aber, in so ein Konzept gehüllt, ein ganzes Land für seine Weltsicht zu beanspruchen, ein Vaterland, ist nicht akzeptabel. Schon gar nicht, wenn es einen selbst und seinesgleichen einschließt, Andersdenkende aber ausschließt. Das würde überdies unserer abendländischen Kultur spotten, die in der Antike schon anders über solche Rragen denken ließ.

-- [Walking Conference: Heimat] --

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