13. November 2016

Mein Opponent in der Kontroverse, von welcher diese Notizen ausgelöst wurden, meinte zu meiner Denkmal-Kritik, "das Wort, das auf den Tafeln steht, sollte egal sein, nicht aber der Umgang mancher Gruppierungen damit!!"

Dieser Absage an eine Diskurskritik in der Betrachtung von Botschaften, die im öffentlichen Raum hnterlassen wurden, muß ich energisch widersprechen. Was genau wäre die Inschrift eines Denkmals anderes als ein bleibender Appell? Sie ist eine Botschaft, die uns zuruft: "Lies mich und nimm mich auf!"

Ich kenne übrigens kein gutes Argument, das abrät, Quellen zu kritisieren. Selbst die Bibel muß man in unserer demokratie kritisch kommentieren dürfen. Ein weit älterer Text, der immerhin nicht öffentlich ausgehängt wird.

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An einer Straße nach Sarajevo

Eine dieser kritikwürdigen Quellen ist das Pamphlet "An meine Völker!". Ich hatte im Eintrag vom 11.11.2016 die Kriegsproklamation von Kaiser Franz Josef als ein hanebüchenes Geschwafel bezeichnet, das einen zweifeln läßt, ob der Monarch selbst geglaubt habe, was er da verkündete. Aber vielleicht ist solcher Pathos und Nationalkitsch einfach "branchenüblich" gewesen, wie auch heute Diplomatie und Politik Dinge eben umschreiben.

Franz Josef: "Diesem unerträglichen Treiben muß Einhalt geboten, den unaufhörlichen Herausforderungen Serbiens ein Ende bereitet werden, soll die Ehre und Würde Meiner Monarchie unverletzt erhalten und ihre staatliche, wirtschaftliche und militärische Entwicklung vor beständigen Erschütterungen bewahrt bleiben." [Quelle]

Was für eine Lügengeschichte seitens eines Konzern-Chefs, dessen Personal den umgekehrten Weg zu gehen versuchten, nämlich den Balkan als Kolonie zu kassieren. Wir sind in Österreich ja sehr konziliant. Da darf dieser Franz Josef bei Faschingsfesten, Oldtimerparaden und Operettenfestivals als Leitfigur avancieren. Da wird dieser gute Katholik von fröhlichen Laiendarstellern verkörpert und auf allerhand Arten gefeiert.

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Auf der Festung Petrovaradin über Novi Sad

Habe wir noch so viel von den Untertanen in uns, daß es uns widerstrebt, diese Figur zu demontieren und auf das Maß ihre politischen Erbärmlichkeit zurechtzurücken? Wenn ein Konzern-Chef jenseits des 80. Geburtstages seiner Aufgabe nicht mehr gewachsen ist und seine Company gegen die Wand fährt, wird man kaum sagen können, daß er ob seiner Betagtheit nichts dafür könne. Der Boss haftet für dei Company.

Historiker Matthias von Hellfeld ist da mit dem deutschen Kaiser erfrischend direkter verfahren. Er nennt Unsinn... Genau! Unsinn. Er nennt eine Lüge Lüge. Phrasendrescherei darf auch so genannt werden. Immerhin haben so die Aristokraten sich ihre Ambitionen unterfüttert und millionenfaches Unglück ausgelöst.

Schon in seiner "Balkonrede" vom 31.7.1914 setzte Wilhelm auf die gleich Lüge wie Franz Josef und später Hitler, redete einen dringenden Verteidigungsfall daher: "Eine schwere Stunde ist heute über Deutschland hereingebrochen. Neider überall zwingen uns zu gerechter Verteidigung." [Quelle] Das kennen wir alle aus Kindertagen in der Sandkiste: Ich war es nicht, der andere hat angefangen!

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Quelle: Matthias von Hellfeld, "Akte Europa"

Von Hellfeld zitiert des Kaisers Rede vom 4.8.1914., um seine Auffassung von Unsinn, Lüge und Phrasendrescherei zu illustrieren: "Da tat sich mit der Ermordung Meines Freundes, des Erzherzogs Franz Ferdinand, ein Abgrund auf. Mein hoher Verbündeter, der Kaiser und König Franz Joseph, war gezwungen, zu den Waffen zu greifen,... " [Quelle]

Oh! Wirklich? Na, das glaube ich ja sofort, daß die zwei Männer, Willem Zwo und Franz Ferdinand, Freunde waren ;-)

Was aber den "Zwang" angeht, der hieß im Falle Deutschlands eigentlich "Schlieffen-Plan". Eine Denkschrift aus dem Jahr 1905. Darin war ein Zweifrontenkrieg entworfen, der -- in polemischer Verkürzung -- erst einmal mit möglichst großer Wucht gegen Frankreich geführt werden sollte, um die Westfront schnell erledigt zu haben. Danach sollte es gegen Rußland gehen. Ein Angriffskrieg, um sich Vorteile zu holen.

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Quelle: Matthias von Hellfeld, "Akte Europa"

Genau so kam es dann 1914 auch. Deutschland hoffte merkwürdigerweise, England werde sich aus diesem Konflikt heraushalfen. Österreich wußte, eine Kampagne gegen Serbien werde Rußlands Armeen in Gang setzen. Da wiederum hoffte man, Italien, werde sich heraushalten. Conrad von Hötzendorf bearbeitete diese Option unter anderem mit enormen Schmiergeldern an die Presse Italiens. (Die Vorbereitung eines Angriffskrieges.)

All das soll sich in wenigen Wochen zwischen den Schüsse von Sarajevo waren (am 28. Juni 1914) und den Schüssen der östereichischen Kanonen auf Belgrad (am 29. Juli 1914) entfaltet haben? Na klar! Und ich bin hier der Dorfdepp.

Nebenbei bemerkt, Deutschland wird wohl nicht nur auf Frankreich geblickt haben, um in einem nächsten Sieg zur stärksten Kontinentalmacht Europas aufzusteigen. Wie Österreich war auch Deutschland bei der "Verteilung der Welt" etwas langsam gewesen, hatte als Kolonialmacht  nicht gar so viel Stücke der Welt an sich reißen können.

Wer als Kolonialmacht reüssieren wollte, brauchte eine leistungsfähige Handels- und Kriegsmarine, über die England ohne Zweifel verführte. Historiker Volker R. Berghahn beschreibt, wie die wilheminische Rüstungspolitik Ende des 19. Jahrhunderts genau das forcierte, den rasanten Aufbau einer großen Kriegsflotte. Berghahn staunt, wie das deutsche Parlament dazu gebracht werden konnte, in so kurzer Zeit die dafür erforderlichen Mittel verfügbar zu machen.

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Die Lateiner-Brücke, in deren Nähe die "Schüsse von Sarajevo" fielen

Der Kaiser sei von den Denkschriften des Admirals Alfred Tirpitz begeistert gewesen, träumte von "großer, überseeischer Politik" und ebnete den Weg, um wenigstens 60 Schlachtschiffe bauen zu lassen. Die Akten des Reichsmarineamtes lasen keinen Zweifel, das ging konkret gegen England.

Die Bildung von Blöcken und die Absicherung kolonialer Märkte wie Rohstoffquellen waren im Aufschwung der Industrie rund um 1900 ein gewichtiges Thema. Berghahn: "Das Endziel war eine in sich ruhenden Militärmonarchie und Weltmacht Deutschland, in der zufriedene Untertanen einem glanzvollen Kaisertum selbstvergessen zujubeln."

Wird langsam erkennbar, wofür der schmächtig Gavrilo Princip eigentlich herhalten mußte? Wird langsam deutlich, wofür das pathetische Geschwurbel der beiden Monarchen eigentlich stand und wofür all die Millionen Menschen im Großen Krieg gelitten haben, gestorben sind?

Wird nun deutlich, was die Phrase "Unsere Helden" eigentlich meint und bemäntelt?

Kaiser Wilhelm II in seiner Balkonrede vom 4. August 1914: "Uns treibt nicht Eroberungslust, uns beseelt der unbeugsame Wille, den Platz zu bewahren, auf den Gott uns gestellt hat, für uns und alle kommenden Geschlechter." [Quelle] Naja, ein Mann ein Wort!

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