9. Jänner 2017

Die zweite Woche des Jahres beginne ich in dicken Wollsocken. Das sollte mir für die Winterzeit angemessen vorkommen. Es paßt auch zu einem Poeten, dem es an Geld mangelt. An welche Klischees soll ich mich hängen? Ich hab den gestrigen Tag in Gesellschaft von Autor Thomas Wolfe (Jude Law) und seinem Lektor Max Perkins (Colin Firth) verbracht, mit dem bewegenden Film "Genius" (2016).

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Perkins und Wolfe

Eine hinreißende Geschichte zum Ringen um Literatur, um den Bestand einer Welt des Geistes. Perkins war übrigens auch mit Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway befaßt, die ihre Momente in diesem Film haben, was einen Schnittpunkt zu "Hemingway & Gellhorn" (2012) liefert.

Nicole Kidman spielt nämlich in "Genius" die Wolfe-Gefährtin Aline Bernstein und gab Martha Gellhorn an der Seite von Clive Owen. Übrigens, in "The Hours" (2002) hab ich sie als Virginia Woolf gesehen. Man könnte sagen: In "Capote" (2005) hab ich sie in der Umgebung von Philip Seymour Hoffman etwas vermißt.

Hemingway, das ist ein Querverweis auf den Spanischen Bürgerkrieg, in dem die Nazi sich für ihre Expansionspläne übten. Zu der Zeit waren junge Männer auch als im Kampf erfahrene Kräfte aus dem Ersten Weltkrieg verfügbar.

Worauf sind nun unsere vaterländischen Kräfte heute eigentlich stolz, wenn sie sich als Patrioten hervortun, wenn sie unsere Kultur verteidigen wollen? Ich hab hier schon mehrfach skizziert, wie sehr Österreich-Ungarn am Ende seiner Möglichkeiten war; genauer: Die Aristokratie, die Verwaltung, die Militärs, also wesentliche Teile der Eliten.

Das läßt sich vermutlich (neben Franz Josef) an keiner Figur deutlicher machen, als an Oskar Potiorek, dem einstigen Oberkommandeur der Balkanstreitkräfte, der übrigens den Krieg gegen Serbien von Sarajevoaus leitete, also zum Kampfgeschehen hübsch Abstand hielt. Ohne die Stümperei seiner Leute wäre Gavrilo Princip nicht zum Schuß gekommen und hätte daher nicht jenen Habsburger aus der Welt geschossen, der gegen die Kriegspläne seines Stabschefs war.

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Anonyme Arbeit, zirka 1918

Es ist sehr wahrscheinlich, daß er Generalstabschef Conrad von Hötzendorf, den Falken, entlassen hätte. (Wie wäre die Konfrontation mit Serbien dann verlaufen?) So aber setzte Österreich-Ungarn zu einer Strafaktion gegen die Südslawen an, welche ausgerechnet Potiorek leitete, der Stümper vom Vidov Dan.

Er verlor prompt die Offensive gegen das kleine Land, dessen Soldaten zwar erschöpft, aber kampferprobt waren. Drei Feldzüge gingen Potiorek gegen die teils zerlumpten und schlecht bewaffneten Serben schief, deren Situation in den beiden vorangegangenen Balkankriegen (1912, 1913) Leo Trotzki in seinen erschütternden Reportagen beschrieben hat.

Auf welches Österreich sind also unsere Patrioten stolz? Jenes, das rund um 1900 in Wissenschaft, Technik und Kunst so epochale Leistungen hervorgebracht hat? Oder jenes, das von der Badeni-Krise gerüttelt wurde, auf seine ethnischen Probleme mit Ignoranz antwortete und der erste Aggressor im Großen Krieg wurde, um dabei vor allem in einem Konzert der Inkompetenz und falschen Entscheidungen unterzugehen?

Politologe Herfried Münkler, Machiavelli-Exeget, Clausewitz-Kenner und Autor von "Der Große Krieg: Die Welt 1914 bis 1918", vertritt die Ansicht, ohne diesen Krieg wären weder Mussolini und Hitler, noch Lenin und Stalin an die Macht gekommen.

Apropos Lenin. Den haben die Deutschen in einem versiegelten Zug aus der Schweiz nach Rußland gebracht und mit ausreichend Geld ausgestattet, auf daß er die Zeitschrift Prawda voanbringen könne. Das strategische Ziel dieser Unterstützung war das Entfachen einer Revolution, der das Zarenregime zum Opfer fiele, was genau so gekommen ist. Münkler nennt sowas "Politik der revolutionären Infektion".

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Mihael Milunovic

Ein Detail jener Zeit hat Stefan Zweig in den "Sternstunden der Menschheit" als Kapitel 13 beschrieben: "Der versiegelte Zug", wo es etwa heißt: "Ein Kreidestrich auf dem Boden begrenzt als neutrale Zone das Hoheitsgebiet der Russen gegen das Abteil der zwei deutschen Offiziere, welche diesen Transport lebendigen Ekrasits begleiten." [Quelle] (Ekrasit ist Sprengstoff.)

Ich hab bei einer Zugfahrt nach München im Winter 2004 den serbischen Künstler Mihael Milunovic gebeten, mir das in einer geeigneten Pose darzustellen. Hier das komplette Set von 2005: [link]

Was also nährt den Stolz unserer Patrioten, denn die Kunst, so auch Stefan Zweig, die Wissenschaft und die Technik jener Ära sind es erkennbar nicht. Außerdem wäre jenes Österreich, dieses Österreich der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts ohnehin beninahe längerfristig vom Erdboden verschwunden.

Wären die Nazi nicht so töricht gewesen, die USA und Rußland gleichermaßen herauszufordern, wer hätte sie denn in Europa schlagen können? Wer hätte die Nazi-Armeen besiegt? Wie groß war die Möglichkeit für meine Generation, in einem faschistischen Europa aufzuwachsen?

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Das Denkmal in Jasenovac

Darin liegt übrigens auch ein Grund, warum mich die Neue Rechte und das, was als Rechtsruck Europas gedeutet wird, nicht sonderlich aufregt. Diese politischen Kräfte waren ja alle nie weg. Dieses Potential hat eine ungebrochene Kontinuität.

Weshalb ging Hemingway nach Spanien? Weil dort von den Internationalen Brigaden ein faschistisches System unter Franco bekämpft wurde. Das Italien Mussolinis, Ungarns Pfeilkreuzler, die Eisernen Garden Rumäniens, die kroatischen Ustaschen, selbst Großbritannien hatte Nationalsozialisten etc. etc.

Sollten Menschen, die solchen Verhältnissen zuneigen, ab 1945 dem allen abgeschworen haben? Muß ich mir vorstellen, dieses Potential sei verebbt, versickert, verschwunden, aber heute auf wundersame Weise wieder auferstanden? So wird das nicht gewesen sein!

Verfolgen Sie bloß einmal die Schlagzeilen um Hace Strache, kombiniert mit Putin. Das wirft doch die Frage auf, wie es sein kann, daß die Enkel der Faschisten bei den Kindern der Bolschewisten antichambrieren...

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