19. März 2017

Welche Art des Handelns führt auf die Felder der Gegenwartskunst? Es wird keine Grenzen zu benennen geben, aber Territorien, die zu überqueren sind. Ich sehe im Kontrast dazu das Volkstümliche in der Region. Kreatives Schaffen zur Bereicherung des eigenen Lebens, das den Menschen gut tut. Das ist ein Genre, welches ich als einen Teil der Volkskultur verstehe. Ein legitimer und sozial bedeutender Teil des kulturellen Lebens.

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Von links: Niki Passath, Ewald Ulrich, Robert Gabris und Ursula Glaeser

Gibt es nun eine Notwendigkeit, dieses Genre gegen die Gegenwartskunst abzugrenzen? Nein. Aber ich brauche brauchbare Begriffe, denn wenn wir keine Begriffe haben, wissen wir nicht, worüber wir reden. Das Volkskulturelle, wie es sich im Großteil der Ausstellungen in unserer Region zeigt, darf sich selbst genügen. Es stellt kaum Fragen und stellt sich selbst nicht in Frage. Es behauptet bloß, hautptsächlich: Ich bin hier! Es möchte sich einfach ereignen und erfüllt darin wesentliche soziale Funktionen.

Auf dem Terrain der Gegenwartskunst, wo ich mich zuhause fühle, wäre damit noch nichts erreicht. Hier zu sein ist keine essenzielle Feststellung. Das hat sich auch bei unserer jüngsten Konferenz im Atelier von Niki Passath gezeigt. Da muß sich eine Obessession zeigen, egal welcher Art. (Erfahrungshunger und Wißbegier sind maßgebliche Kräfte.)

Unsere Kultur verleitet dazu, das hierarchisch angeordnet zu sehen. Früher waren das bipolare Ensemble wie "Volkskultur/Hochkultur". Heute ist das alles vor allem diffus geworden. Ich kann es nicht hierarchisch deuten, kann es nur komplementär zu einander verstehen. Das hat mehrere Gründe. Einer der ganz banalen liegt in der Tatsache, daß ich keinerlei Gewinn habe, wenn ich mich im Status über andere erhebe.

Damit meine ich, daß der künstlerische Prozeß daraus keinen Gewinn zieht. Dieses Hierarchische ist einerseits eine soziale Kategorie, hat andererseits etwas von einer Marktlogik und kann einzelnen Personen durchaus Vorteile auf dem (Kunst-) Markt bringen; also wie angedeutet: Das ist keine Kategorie der Kunst!

Ich bin in der laufenden Arbeit des Jahres mit beiden Themen verbunden, der Volkskultur und der Gegenwartskunst. Mich interessiert, wo wir allenfalls aus den gleichen Quellen schöpfen und wo wir eventuell im konkreten Kulturgeschehen Seite an Seite gehen.

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Wo ich aber in die Kunst gehe, sind die Bedingungen strikter als im Volkskulturellen. Dort kann ich nur mit Menschen umgehen, die von Erfahrungshunger und Wißbegier bewegt sind. Dort weiß ich weder mit fröhlichen Matronen etwas anzufangen, die sich mit Seidentüchern oder Strickwaren behängen, um selbstergriffen Hof zu halten, noch mit jenen launigen, meist lauten Spießern, die vorzugsweise im Tragen lustiger Käppchen und schrillfarbener Brillenfassungen aller Welt mitteilten wollen, daß sie Künstler seien.

Im Volkskulturellen schätze ich übrigens jene, die eine Sache um ihrer selbst willen gut machen möchten und die sich daran erfreuen, wenn ihnen aus eigener Anstrengung etwas gelingt. Das sind übrigens Motive, wie wir sie auch ganz generell im Handwerk suchen und finden.

Damit wäre dann ein Punkt berührt, den ich in der Frage nach unserem Verhältnis zu Maschinen interessant finde. Eine Sache um ihrer selbst willen gut machen und die Freude darüber, wenn etwas aus eigener Anstrengung gelingt. Ich kann mir vorerst nicht vorstellen, daß ein Maschinensystem auf solche Intentionen angewiesen wäre.

Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß eine Maschinen in solchen Erlebnissen Sinn fände. Das heißt übrigens, die Maschine müßte erlebnisfähig sein und sich als sinnstiftend empfinden, sie müßte also eine Wahrnehmung von sich selbst haben.

Ewald Ulrich hat keinen Zweifel, daß Maschinen diese Fähigkeit erlangen werden: Selbstwahrnemung. Er stellt dem gegenüber, was uns von anderen Arten der Lebenwesen unterscheidet: Wir können Dinge denken, die es nicht gibt. Wir haben also Symbolisches Denken, sind zur Abstraktion und zur Vorausschau fähig.

Sollten Maschinen das dereinst können? Ist das überhaupt wichtig? Oder bietet uns genau das ein erfreuliches Unterscheidungsmerkmal gegenüber den Maschinensystemen, wie es uns bisher schon gegenüber anderen Spezies eine Abgrenzung erlaubt hat? (Also ein Distinktionsthema.)

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Weit heftiger war unsere Debatte dann zur Frage, ob es so etwas wie Talent überhaupt gebe. Da hat vor allem Niki Passath eine überaus klare Position. Er hält diese Kategorie offenbar für, hm, naja, wenigstens romantisch. Ulrich stimmt ihm darin zu: Wir erfahren Prägungen und üben, forcieren dann bestimmte Möglichkeiten, zugunsten derer wir andere Potentiale vernachlässigen.

Robert Gabris, ein exzellenter Zeichner, sagt lapidar, wenn man mehrere Jahre hart und konsequent üben würde, könne man so zeichnen. Das sei uns allen prinzipiell möglich. Passath bestätigt diese Auffassung von seiner Erfahrung in der Klassischen Musik; er kommt ursprünglich vom Cello-Spiel.

Damit entfiele nun einer meiner Lieblings-Mantras, die besagt, daß die Natur Talente blind ausstreut und eine Gesellschaft gut beraten sei, Bedingungen herzustellen, unter denen die vertreten Talente Gelegenheit fänden, ihre Gaben umzusetzen.

Ein romantisches Bild? Womöglich. Es ist in der Tat schmerzlich, vertraute, liebgewonnene Ansichten aufzugeben. Das merke ich gerade. Es mißfällt mir ausgesprochen, eine Vorstellung zu entsorgen, die mir beim Klären offener Fragen oft genützt hat.

-- [Das Talent zur Kunst?] --

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