4. April 2017

"Wo sind wir, wenn wir reisen?" Paul Virilio sah uns im Buch "Rasender Stillstand" in eine Mediensituation gestellt, zu der er eine Gedichtzeile von Henri Michaux zitierte: "Man träumt nicht mehr, man wird geträumt". Was reißt uns mit sich? Was stürzt uns in "Prometheische Scham"? Technologie...

In "Fahren, fahren, fahren..." schrieb Virilio von einer "Aristokratie der Geschwindigkeit", "ohne die keine Tyrannei, keine Feudalherrschaft existieren könnte". Dem Mensch im Gehen steht demnach ein Mensch in "technischer Körperlichkeit" gegenüber. Ein Mensch mit seinem "Geschwindigkeits-Körper", der sich per technischem Material verdoppelt. Daher: Gehen als eine Reduktion, ein Rückbau, als eine Revision der technisch herbeigeführten Körper-Verdoppelung?

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Eine der Varianten: Wir gehen zu Erbauung, zur Entspannung, zur Gesundung, auch zum bloßen Vergnügen. Ich meine mich zu erinnern, daß Heinrich Harrer in seinen Notizen zu "Sieben Jahre in Tibet" beschrieb, wie man ihn dort für verrückt hielt, weil er ohne praktischen Grund auf Berge hinaufging.

Es wird bei uns nicht anders gewesen sein. Wer sich Tag für Tag verausgaben muß, um gerade das Nötigste zum Überleben zu haben, findet keine Muße zum Spazierengehen. Gut, wir setzen hier diese Möglichkeit ja in die Tradition der Peripatetiker, weil praktische Erfahrung zeigt, daß unser Denken unterm Gehen einige Möglichkeiten hat, die sich im Sitzen offenkundig nicht vergleichsweise gut herausstellen. Aber die Orte des Gehens, Räume...

Der öffentliche Raum und das Rasen. Das Reisen. Die Quest. Virilio notierte: "Die zur Fahrt sublimierte Jagd untersagt den Aufenthalt." In der problematischen Spielart zeigt sich: "Die Geschwindigkeit ruft die Leere hervor, die Leere treibt zur Eile..." Unser Gehen am 1. April wie auch das, was wir unterwegs zur Kunst fanden, zur Kunst erörtert haben, macht einige Gegenpositionen zu a) Geschwindigkeit und b) Leere anschaulich.

Das ist vor allem, was Ursula Glaeser offenbar zum Modus Walking Conference bewegt. Ich darf hier formell den zu Tode getrampelten Begriff Entschleunigung von meinen Betrachtungen ausschließen. Der Mensch ist ja das Maß seiner Dinge, so lange er seinen Körper noch nicht technologisiert, also technologisch aufgerüstet, also "verdoppelt" hat.

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Natürlich hat sich entschleunigt, wer von einem Motorrad absteigt, aber wir würden doch nicht den maschinellen Zentauren als menschlichen Referenzpunkt begreifen. Er ist die Ausnahme. Das Gehen ist also eine Art Reset der Sinne, denn unsere uralte Wahrnehmung hat in ihrer Entwicklung daran Maß genommen, nicht am maschinell beschleunigten Körper.

Talking by Walking... Mich interessiert an der gehabten Session sehr das Ausloten verschiedener Momente des Raumes; hier als öffentlicher Raum, den ich als politischen Raum verstehe. Politisch im Sinne von Polis = Das Gemeinwesen.

Virilio hat in "Rasender Stillstand" knapp formuliert, was den öffentlichen als politischen Raum in europäischer Tradition ausmacht. Er erwähnt die griechische Stadt, "in der der öffentliche Raum der Agora der Garant für die politische Einheit, der Garant des Bürgerrechts der versammelten Bürger gegen die Bedrohung eines Tyrannen war".

Wenn ich nun das Thema Kunst im öffentlichen Raum berühre, dann denke ich nicht an Raumüberwindung, sondern Raumwahrnehmung. Physiker Ernst Mach unterschied zwischen dem physiologischen Raum und dem metrischen Raum. Der physiologische Raum sei jener unserer sinnlichen Anschauung, "den wir bei vollem Erwachen unseres Bewusstseins fertig vorfinden". Der metrische sei dagegen ein begrifflicher Raum.

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Im Vorbeigehen entdeckt: Eine anstehende Debatte: Bei der Arbeit von Helmut Dick [link] waren ursprünglich die Fenster um den Kopf der Giraffe mit Blenden blickdicht gemacht, um die Aussichtslosigkeit junger Menschen zu thematisieren. Nach Jahren wurde diese Verblendung entfernt.

Nun steht eine Forderung nach Rückbildung des Werkes im Raum. Noch kenne ich die Argumente pro und kontra nicht, doch die Diskussion möchte ich erleben. Zur Frage "Was ist Kunst?" gesellt sich berechtigt auch jene nach "Wann ist Kunst?" Schließlich: Wo wird das verhandelt und wer nimmt an dieser Verhandlung teil?

-- [Doku: Gehen] [Die Quest] --

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