2. Mai 2017

Mit dem Auto ginge es nicht schneller und ich müßte für einen Parkplatz bezahlen. So kann ich unter der Fahrt lesen, hab bloß bescheidene Fußwege vor mir, die ich ohnehin brauche, weil ich insgesamt viel zu viel Zeit am Schreibtisch verbringen. (Es heißt ja, Sitzen sei das neue Rauchen.)

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So viel Vernünftigkeit im Ordnen eigener Angelegenheiten kann einen störrische machen. Sind wir nicht alle in unseren Herzen Rebellen? Ich scherze natürlich, während ich über die süße Macht von Gewohnheiten nachdenke. (Auf dem Foto der teilweise stillgelegte Grazer Ostbahnhof.) So! Gerade einmal Stunden nach unserem heurigen Aprilfestival, das ich mit einem Statement einbegleiten durfte: "Die Quest II: In der Tiefe Europas" [link]

Zugfahrt am 1. Mai, um auf der Grazer Messe ein geradezu unvernünftig brachiales Auto zu begutachten. Dazwischen nächste Studien der Volkskultur. Während ich mich gründlicher in jene Codes einarbeite, mit denen ein Netzwerk von Kleindenkmälern entstanden ist, um uns in einer Kulturlandschaft stehen zu lassen, plagt mich immer noch die Anforderung, so manche Begriffe zu schärfen.

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Doch dann diese Karre. Es ist ja ein wenig skurril, daß um die schwarze Blockhütte so viel Aufhebens gemacht wird. Der G 500 4×4 quadrat stammt von einem Militärfahrzeug ab und steht mit einem Grundpreis von über 230.000,- Euro in den Listen. Für mich heißt das vor allem, man bekommt ihn nicht oft zu sehen.

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Ich hab den Ursprung gerade erst in unserem Projekt "Mensch und Maschine" vorgestellt, einen Prototypen des Puch G: [link] Der wäre, wenn es ihn noch gäbe, heute freilich auch hoch im Kurs. Aber diese Geldfragen sind für mich weitgehend irrelevant. Die Geschichten fesseln mich.

Doch wie hat das alles mit Belangen der Volkskultur zu tun? Die Volkskultur in der technischen Welt ist ein gut belebtes Genre, das in öffentlichen Diskursen bisher weitgehend unbachtet bleibt.

Auf der anderen Seite wird eine tradierte Form nun fast ebenso wenig wahrgenommen, wenngleich direkt vor unserer Nase und von engagierten Menschen gepflegt; all die Wegkreuze, Bildstöcke, Säulen und Figuren in einem fein ausdifferenzierten System von Flurdenkmälern. Siehe dazu den Denkanstoß "Alte Infosphäre", in dem ich erst einmal knapp skizziere, wie sehr dieses volkskulturelle System weit über religiöse Inhalte hinausreicht: [link]

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Es ist ein eigentümlicher Witz, daß uns selbst erklärte Liebhaber der Volkskultur diese Dinge nicht erläutern, anbieten, während sie uns organisierte Spielarten des Folklorismus als wesentlich vortragen und so die Volkskultur der Unterhaltungsindustrie überlasen.

Die Nische auf dem Foto gehört übrigens auch zu diesem Denkmalsystem, wenngleich wir nun nicht mehr wissen, was daraus verlorengegangen ist. Das ist ein Motiv nahe dem Gleisdorfer Bahnhof. Ich hab inzwischen Klarheit, daß die Begriffe Volkskultur und Folklore weitgehend gleichbedeutend verwendet werden können, während Folklorismus eine Art seichtere, tourismstaugliche Spielart meint, die den Zwecken der Verwertbarkeit, der Bewirtschaftung unterworfen ist.

Eine nötige Klärung, weil wir derzeit in einem Kulturgeschehen leben, das die Volkskultur hauptsächlich als ein Thema a) der Wirtschaft, b) der Politik und c) diverser Regional- wie Citymanagements kennt. Dabei läßt sich ganz leicht eine weitgehend gewissen- und bedenkenlose Beugung des Genres nachweisen, darstellen.

Das ist um so irritierender, als wir zur Zeit offenbar erhebliche Probleme haben, in dieser Gesellschaft Fragen nach "Unserer Kultur" und "Unserer Identität" zu beantworten. Legionen von Menschen fühlen sich darin anscheinend bedroht. Viele davon äußern das lautstark und oft aggressiv, ja bedrohlich.

Aber genau jenes Genre, das naturgemäß sehr viel mit solchen Fragen nach "Unserer Kultur" und "Unserer Identität" zu tun hat, die Volkskultur, ist bevorzugter Gegenstand von wirtschaftlichen und politischen Interessen, wird sogar stellenweise von Funktionstragenden der Kulturpolitik gut darstellbar eher mißbraucht als gepflegt.

Es wäre nun ein Witz, wollte ich mich in die Reihen der "Traditionshüter" begeben, um etwas "Wahres" und "Echtes" gegen "Übergriffe" und "Mißbrauch" zu beschützen. Diese Pose ist Mumpitz. Aber in der Wissens- und Kulturarbeit ist etwas besonders unverzichtbar: Die stets neue Klätrung von begriffen, denn wenn wir kein Begriffe haben, wissen wir nicht, worüber wir reden.

-- [Dokumentation: Aprilfestival] --

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