9. Mai 2017

Im Jahr 1946 mußte man bei uns noch nichts über Popkultur wissen. Es wurde erst später geklärt, was den Unterschied zwischen Popular- und Populärkultur ausmache. Anfang der 1960er setzte der Volkskundler Hans Moser den Begriff Folklorismus in einen Gegensatz zu Folklore.

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Die Folklore, als Entsprechung etwa unserer Volkskultur, geht ihrerseits begrifflich auf das 19. Jahrhundert zurück und soll von William John Thoms geprägt worden sein. Mosers Auffassung von Folklorismus meint dagegen eine vom Tourismus und andere Interessensgruppen dienstbar gemachte Variante der Volkskultur; im Sinne einer Verwässerung. In meinen Jugendtagen nannte man das einfach "Kommerz".

Aber zurück zu 1946. Damals erschien "under Military Gouverment Information, Permit 8-9" das Buch "Um Österreichs Volkskunde" des als Autorität in dieser Sache anerkannten Viktor von Geramb. Er sollte später für den ersten Leiter des Kulturreferates der Steiermark, seinen Schüler Hanns Koren, eine wichtige Bezugsperson zu diesem Thema sein.

Bei Geramb liest man eine Erläuterung dessen, was in meinen Kindertagen maßgebliche kulturelle Kategorien waren; die bipolare Deutung von
a) Volkskultur und
b) Hochkultur.

In meiner kindlichen Alltagspraxis gab es dann noch eine weitere Kategorie: "Schmutz und Schund". Außerdem die schon erwähnte Popkultur und allerhand Spielarten dessen, was eine boomende Kulturindustrie uns angedient hat.

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Geramb war noch von einem enormen Pathos getragen, wenn er "die hohe Kunst" und "die Volkskunst" verglich. Man bedenke, 1946! Kriegsende. Es bestimmten in Österreich noch die Besatzungsmächte, was im offiziellen Kulturbetrieb geschehen konnte.

Geramb, ursprünglich deutschnational orientiert, für die Nazi aber ideologisch nicht brauchbar, nicht ausreichend "völkisch", mußte ja auch in irgendeiner Weise darstellen, wie gerade erst all die unfaßbare Barbarei möglich gewesen sei, die unsere Leute entfacht hatten. Besser gesagt, er konnte das offenbar nicht völlig unerwähnt lassen.

In dieser Sache behalf er sich mit Kategorien wie dem "bösen Zeitgeist", einem Mangel an Gottesfurcht und ähnlichen Ausflüchten ("Das Böse ist noch lange nicht überwunden..."). Was wir später als "volkstümlich" kennenlernten, um etwa in der Musik einen Unterschied zur "echten Volksmusik" zu markieren, war ihm offenbar schon vertraut.

Geramb nannte da beispielsweise "Salontiroler" oder "Varietéjodler", "Gschnashuber", "Watschenplattler" und "Almhütten-Dulijö", ohne seine Geringsschätzung für solche Derivate zu verbergen. Ein hinreichendes Vokabular, um später Phänomene wie den "Musikantenstadl" zu beschreiben.

Aber was unterschied er nun in Fragen der Volks- und Hochkultur? Der Wissenschafter vertrat die Auffassung, "in der Hochkultur herrscht der individuelle Gestalter, der Künstler, der Tonkünstler, der Dichter, der Architekt, in der Volkskultur ruht die gestaltende Form auf Brauch und Gemeinschaft". Das ist ja sehr hilfreich, um zu klären, wo die Debatte vor rund einem halben Jahrhundert stand.

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Er verteidigte damals eine gleichermaßen wesentliche Bedeutung von Volkskultur und Hochkultur, die eben verschiedene Terrains habe, im Kontrast zu "Kitsch" und "Gschnas", wobei er allerdings so trübe Kategorien wie den "Mutterboden des echten Volkstums" geltend machte, der uns "die tiefsten Wunder unserer alten, bodenständigen Volkskultur" bieten würde: Das namhafte Genie, individuell sichtbar, im Kontrast zum kreativen Anonymus, der aus seiner Gemeinschaft nicht persönlich hervortritt.

Ich vermute, dieser Pathos war dem Wunsch nach Emanzipation gegenüber anderen Wissenschaftsgebieten geschuldet, zumal sich viele Fachkräfte in Sachen Volkskultur eben erst den Nazi und ihrem Personal auf gewissenlose Art dienstbar gemacht hatten, wodurch das Fach im Ansehen schwer gelitten hat.

Unser heuriges Kunstsymposion ist dem Thema Koexistenz gewidmet. Dabei hab ich von Niki Passath den Titel übernommen: "Artist Is Obsolete". Der Künstler ist überflüssig. Das wurde selbstverständlich ironisch angesetzt. Es ist ein Jahr, in dem einige Klärungen anstehen.

Ich habe ein sehr kontrastreiches Team gewinnen können, um den diesjährigen Prozeß mitzutragen, der unterwegs seine einzelnen Stationen hat und sich auf November hin verdichten wird. Was sind die Terrains, von denen aus wir uns treffen? Was ist in Wechselwirkung? Ich sehe nun über mehrere Schritte diesen Themenbogen präzisiert:

Volkskultur, Popkultur, Gegenwartskunst

Die Fragen der Kunstpraxis können wir ruhig den einzelnen handelnden Personen überlassen. Mit Fragen der Kulturpolitik sieht das anders aus, weil Funktionstragende über den Einsatz öffentlicher Mittel darauf Einfluß nehmen, was sich öffentlich wahrnehmbar ereignet und was nicht.

Darauf reagiert auch die Medienwelt entsprechend, zumindest im Bereich herkömmlicher Printmedien. Wenn man einrechnet, daß eine gut gestellte Kommune auch noch erhebliche Mittel in die Zeitungs-Werbung investiert, was natürlich den Kulturbereich gleichermaßen betrifft, läßt sich ein erheblicher Zusammenhang zwischen Kulturpolitik, Verwendung öffentlicher Mittel und Medieneffekte finden. Das interessiert mich nicht bloß in meiner Eigenschaft als Künstler, sondern auch als Bürger des Landes...

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