8. Juni 2017

Im März 2015 habe ich hier eines der weißen Quadrate von Kasimir Malewitsch gezeigt: die "Suprematist Composition White on White" von 1918. Seine schwarzen Quadrate sind weit bekannter. Ganz schlaue Herzchen blenden in der Betrachtung von Gegenwartskunst das gesamte Gedankengebäude rund um solche Arbeiten gerne aus und verkünden fröhlich: "Das kann ich auch!"

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Erstens können hinterher viele etwas auch, zweitens wiegt das Gedankengebäude. Drittens ist leicht schlau sein, wenn man sich auf die Vorarbeit anderer stützt. Und nein, gar so viele können genau das, was wir hier sehen, eben nicht. Die Abstraktion steht ja für etwas anderes, das bedacht sein will.

Abstraktion war zum Beginn des 20. Jahrhundert nichts Neues. Im Gegenteil! Sie hat eine lange Vorgeschichte, etwas Komplexeres zu repräsentieren, nicht abzubilden. Die gesamte Geschichte der bildenden Kunst handelt sehr viel mehr von symbolischen Darstellungen, von Allegorien und Abstraktionen, als von naturgemäßen Abbildungen sichtbarer Dinge.

In den vergangenen Jahren habe ich vier markante Motive des 20. Jahrhunderts in den Fokus unserer Arbeit gerückt, weil sie für mich exemplarisch sind. Dazu gehört eines der schwarzen Quadrate von Malewitsch. Im Jahr 2015 hab ich dieses Motiv dann auch für "Fiat lux" aufgegriffen; eine Referenz: [link]

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Die vier Arbeiten stammen (von links betrachtet) von Kasimir Malewitsch, Paul Jaray, Richard Buckminster Fuller und Andy Warhol. Das sind einige der Kräfte, die unser Sehen und Denken im vorigen Jahrhundert verändert haben. Siehe dazu auch einen Beitrag von 2009: [link]

Die "Möglichkeit zur Abstraktion" verdanken wir vermutlich dem radikalsten Aspekt, der die Spezies Mensch von anderen Lebewesen unterscheidet. Wir können Dinge denken, die es nicht gibt. Darum blicken wir ahnungsvoll in die Zukunft, darum erfinden wir Dinge, darum pflegen wir die Kunst. Erleben, Reflektieren, Kreieren... Ich habe gestern betont: Überschreiten des Vertrauten, des Üblichen, des Althergebrachten.

Das ist übrigens auch, was wir mit der Idee von Zukunftsfähigkeit verbinden. Innovation wäre ohne diese menschlichen Eigenschaften nicht möglich.

Ich hab im gestrigen Eintrag behauptet: "Wer aber diesen ersten Teil des Kompetenzgewinns ausschlägt und sich gleich Richtung Abstraktion bewegt, produziert dann eben leicht unbedarfte Arbeiten,..."

Man mag sich vielleicht vorstellen, Malewitsch habe es leicht gehabt, einfach ein wenig zu denken und dann schwarze, wahlweise weiße und rote Quadrate zu malen, um in die Kunstgeschichte einzugehen. Es war allerdings anders. Ich will davon ausgehen, daß Malewitsch selbstverständlich malen konnte, sein Handwerk gelernt hatte.

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Betrachten Sie zum Beispiel dieses Frauenportrait von 1930, also aus der Zeit seiner letzten Lebensjahre. Er behielt sich vor, ganz unterschiedliche visuelle Codes einzusetzen, um diese oder jene künstlerische Aufgabe zu bewältigen. Wie gesagt, der konnte natürlich malen. In der Literatur über Malewitsch findet man übrigens viele Hinweise darauf, wie sehr er von den Lubki beeindruckt war. Der Lubok ist ein Typ des Holzschnittes oder der Radierung, die man als "volkstümlich" bezeichnen könnte. Ein altes Beispiel:

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Dieser Lubok aus dem 18. Jahrhundert zeigt: "Die Mäuse beerdigen die Katze". Es heißt, dies sei eine Karikatur der Beerdigung von Zar Peter dem Großen gewesen. Wer nun meint, "Das kann ich auch!", sollte umgehend eine Probe des behaupteten Zeichentalents vorlegen. Selbst sehr naiv anmutende Darstellungen zeigen letztlich die geübte Hand. Fehlt solche Erfahrung zeichnerischer oder malerischer Praxis, sieht man es den Werken häufig an.

Ich hab vorhin erwähnt, es verlange unterschiedliche visuelle Codes, um diese oder jene künstlerische Aufgabe zu bewältigen. Mit Zeichensystemen und Ausdrucksformen kann man sich durch Einübung vertraut machen. (Im traditionellen Handwerk gibt es die Faustregel, daß jemand unter zenhtausend Stunden Praxis nicht mitreden könne.) Manchmal treffen wir Menschen, die keiner solchen Einübung bedürfen, weil sie alles Nötige schon mitbringen. Das kommt vor, ist aber die Ausnahme.

Nun wären beim gegenwärtigen Kulturgeschehen in der Provinz einige Akteurinnen und  Akteure zu fragen: Liegt Ihnen an der Kommunikation mit solchen Codes oder genügt Ihnen völlig das Publikumsinteresse, welches man bei einschlägigen Veranstaltungen und Inszenierungen erwarten darf?

Geht es eher um Ihr Werk, oder eher um Sie selbst? Anders gefragt: Haben Sie eher künstlerische oder eher soziale Interessen? In der Sache muß man dem Publikum nichts zurufen, denn es möge nach eigenem Geschmack entscheiden.

Aber die Kulturpolitik sollte Auskunft geben können, worauf sie Mittel und Möglichkeiten verwendet.

Und Medienleute sollten erkennen lassen, daß sie wissen, worüber sie berichten. (Hier übrigens der "Kopf einer jungen Bäuerin" von Malewitsch, zirka 1913 gemalt.)

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Ich ziele mit solchen Erörterungen also nicht auf die Kreativität von Privatpersonen, welche sich ereignen möge, wie es beliebt. Ich habe ein Interesse daran, wie, womit und von wem der öffentliche Raum bespielt und beschriftet wird.

Wir sehen, daß Werbeagenturen und Marketing-Büros aller Art unseren Lebensraum mit Botschaften überfluten. Das geschieht doch nicht absichtslos, sondern zielt auf unsere Ansichten und Auffassungen. Auch im Kontext von Kuturveranstaltungen werden solche Interessen verfolgt, was ich für kulturpolitisch problematisch halte. Derlei ist also vielfach von kommerziellen und kaum von künstlerischen Interessen geleitet.

Dabei werden Interessenslagen bedient, die völlig außerhalb der Kunst liegen. Da der öffentliche Raum ein politischer Raum ist, müssen einschlägige Ereignisse zur Debatte stehn. Wer mit seinen Werken zu dieser Art der Bespielung des öffentlichen Raumes beiträgt, muß in eben diesem Sinn mit Diskussionen rechnen.

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