13. Juli 2017

Das Magazin monopol titelte: Jonathan Meese in Hamburg | "Kunst kann man nicht lernen". Der Untertitel vertieft: "Künstler Jonathan Meese (47) glaubt nicht, dass man Kunst lernen kann." [Quelle] Okay. Jetzt hab ich es wahrscheinlich verstanden. Das ist ja fast wie ein Dessert zu unserer jüngsten Walking Conference zum Thema "Was ist Kunst?" Meese läßt uns wissen, daß das Wasser naß und der Papst katholisch ist. Warum tut er das? Trommeln gehört zum Geschäft!

Unser Alltag tönt laufend von schönen Sätzen zur Kunst. Wären diese Sätze Düfte, sie kämen dem Weihrauch gleich. Und wie in sakralen Angelegenheit durchaus üblich, ist Verehrung, wahlweise Ablehnung, eine akzeptable Position. Dagegen ist die kritische Prüfung ausposaunter Weihrauchdüfte eher unerwünscht. (Das wirkt so leicht entweihend.)

Zur Sache paßt übrigens die heutige Ausgabe der Krone. Da staune ich mit der bewährten Frau Dr. Grablowitz, einer Schönheitschirurgin, was ihre Kolumne offenbart. Nämlich die Frage, ob uns die Wissenschaft bezüglich des "Idalmaßes" eines Frauenkörpers Auskunft geben könne. Kunst und Schönheit. Weihevolles... (Zwischenfrage: Muß eine Schönheitschirurgin bloß handwerklich gut oder auch schön sein?)

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Quelle: “Die Krone der Schönheit”, 13.7.17

Im Text kommen dann unter anderem "Berechnungen der Universität Texas" zur Sprache. Freilich hat schon sehr viel früher die Kunst wesentliche Beiträge zum Thema geliefert. Es sind uns zwar kaum Originale der griechischen Plastik aus der Antike erhalten, aber das damals in Stein gehauene Schönheitsideal für menschliche Körper scheint bei uns nach Jahrtausenden immer noch dominant zu sein. Das Kuriose daran: Wir haben, wie erwähnt, kaum Originale aus der Zeit, kennen dieses Schönheitsideal hauptsächlich durch Kopien und aus Beschreibungen.

Die texanische Debatte ist unmißverständlich und ergibt einen passablen Begleittext zu den Skulpturen der Antike. In "Maxims & Myths of Facial Beauty" geht es eindeutig zur Sache. Etwa:

"1) Is beauty merely in the eye of the beholder? NO" Oder auch, weil wir offenbar sehr stark auf Anblick fokussiert sind: "2) Do we judge books by their covers? YES" [Quelle]

Damit ist auf die Bedeutung von ästhetischen Erfahrungen hingewiesen, auf unsere sinnlichen Wahrnehmungserfahrungen. Die stehen mitunter im markanten Kontrast zu unserer Ideologie, zu erklärten ethischen "Werten", wonach etwa "wahre Schönheit von innen" kommen möge, was meint, wir sollten über physische Attraktivität hinwegsehen. Das ist natürlich auch im Umgang mit der Kunst von Belang. Kennen Sie das denn? Das Reich der Sinne contra die Regeln der Kunst.

Jonathan Meese war also, wie wir erfahren, beim "Senatsempfang zum 250-jährigen Jubiläum der Hochschule für bildende Kunst Hamburg", um die Welt wissen zu lassen, daß er von solchen Hütten gar nichts hält, was er ja mit seinem Besuch der ehrwürdigen Anstalt und ihres ehrwürdigen Festes unmißverständlich ausgedrückt hat. Explizit: "Man kann lernen, sich nicht dressieren zu lassen." Oder auch: "Man kann nur lernen, was nicht Kunst ist."

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Doryphoros des Polyklet, römische Marmorkopie einer griechischen Bronzestatue aus dem 5. Jhdt. v. Chr.
(Foto: Marie-Lan Nguyen, Creative Commons)

Wer es im Regelbetrieb so weit gebracht hat wie er, wer a) dank seines momentanen Marktwertes erhebliche Geldsummen bewegt und b) dank seiner errungenen Prominenz in den Medien so exponiert vorkommt, also ein gut funktionierender Teil des Kunstbetriebs wurde, könnte cool bleiben und einfach seine Geschäfte verfolgen. Aber die Bourgeoisie möchte natürlich keine angepaßten Wesen als Stars vorgesetzt bekommen. Angepaßt ist man ja selbst.

Wenn das nun keine schlampige Kolportage vom Boulevard ist, sondern tatsächlich ein korrektes Meese-Zitat, lernen wir daraus, was uns jeder zweite Provinz-Dichter und jede dritte Hobbymalerin andienen möchte: Verstehen Sie doch, ich bin unangepaßt, ich bin nonkonformistisch, ich bin, ähem, räusper, hüstel, ein wenig verrückt. Ich bin ein Solitär, ein alleinstehendes Juwel!

Oder um es mit Meese zu sagen: ("Das hätten seine Lehrer an der Hochschule sofort erkannt und gesagt":) "Der Typ ist ein Spinner. Der muss hierher kommen. Weil, in der Realität kann der gar nicht überleben".

Ja, der Phantast, der Träumer, der Unrealistische, der etwas kann, was einem zufällt, was man aus sich heraus gebiert, kurz: Das einsame Genie; denn was es kann, das kann man nicht lernen, schon gar nicht in einer Lehranstalt, und überdies: "Ich bin wahrscheinlich der größte Realitätsverweigerer, den es jemals in der Kunst gegeben hat." (Das Statement hat so einen Donald Trump-Geruch.)

Und genau deshalb ist er auf dem Markt so erfolgreich, ist er bei den Medien so erfolgreich. Glauben Sie das? Ich nicht! Das ist ein zu abgelatschtes Strickmuster, welches auf dem Boulevard gerne bekräftigt wird, indem man ihm zuschreibt, daß er "bereits für etliche Skandale gesorgt hat."

Der Künstler als Genie, Nonkomformist und Bürgerschreck, kurz: ein Skandalon. Würde mir nicht etliches von seiner Arbeit gefallen, ich hielte Meese für einen Herold jener Spießerkultur, die sich derzeit wieder so erstickend breit macht. Woran merkt man es?

Da rennen mir allerweil radikale Aufsteiger mit Begabtenschal und Mittelschicht-Trutschen mit Seidentüchlein um die Ohren.

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Jonathan Meese 2008 (Foto: Warburg , Public Domain)

Da ist so viel Erregtheit. Da wundere ich mich, was bei Vernissagengesellschaften noch alles ein Skandal werden kann: "Erst Hitlergruß, dann Oralsex mit Hakenkreuz-Aliens" [Quelle] Das ist mir einfach zu glatt, zu rundgelutscht: "Der Skandalkünstler arbeitet gern mit NS-Symbolen und hat schon etliche Male für Furore mit seinen Arbeiten gesorgt. Er ist es gewohnt, als Spinner abgetan zu werden, er selbst bezeichnet sich als Realitätsverweigerer." [Quelle]

Bei monopol [Quelle] hat man die gleiche Agentur-Meldung der dpa verramscht, wie beim Hamburger Abendblatt [Quelle] und bei der SHZ [Quelle] etc. etc. Die kunstschwangere Postwurfsendung war in den Feuilletons niemandem einen sachkundigen Kommentar oder irgend einen erhellenden Satz wert. Fire and forget...

Auch die heimische Kulturzeitung 80 promotete den "Skandalkünstler", der sich dabei mit einem Eisernen Kreuz behängt zeigt (Hab ich auch!) und als "einer der absoluten Superstars der internationalen Gegenwartskunst" vorgestellt wird, welcher "für Insider zu den 100 wichtigsten Künstlern der Welt" zählt, was ich energisch zu bezweifeln wage. Die Quelle: [link]

Sieht man sich bei Auktionshäusern um, zeigt sich, daß Meese noch nicht zu den Großverdiener des Kunstmarktes zählt, aber wie man so sagt: Es ernährt seinen Mann. Ich greife ein par Beispiel heraus, hier von Van Ham [link]
+) Schätzpreis:€ 1.500, Ergebnis: € 5.632
+) Schätzpreis:€ 5.000, Ergebnis: € 14.080
+) Schätzpreis:€ 6.000, Ergebnis: € 16.640
+) Schätzpreis:€ 6.000, Ergebnis: € 17.920
+) Schätzpreis:€ 20.000, Ergebnis: € 35.840

Das geht doch, oder? Selbstverständlich verkündet uns das auf dem Markt und in den Medien so erfolgreiche "Genie" via "80"er-Magazin: "Karriere als Ideologie ist Scheiße!" Der Weintrinker predigt Wasser.

Ich tendiere übrigens zur Ansicht, daß wir es in der ganzen Sache eigentlich Helge Schneider zu tun haben, der von geheimnisvollen Kräften hin- und hergeworfen wird, wie einst Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Hier also Dr. Helge und Mr. Jonathan, um sich in beiden Verfassungen und Identitäten auszulassen, den Kulturberieb zu beleben.

Und die Schönheit?

Klar lassen sich Muster dingfest machen, wenn man untersucht, was Majoritäten innerhalb von konkreten Gruppen als schön empfinden. Selbstverständlich lassen sich dabei Zusammenhänge mit biologischen Kategorien markieren. Und dann wären da noch zeitbedingte Phänomene, die sich heute vor allem via Massenmedien mitteilen, konstituieren, ausdrücken. Vermutlich beurteile ich Menschen übrigens auch danach, was sie für schön halten. Schönheit ist ein brisantes Thema, von sehr vielfältigen Obsessionen befeuert.

-- [Walking Conference: Was ist Kunst?] [Howl: Wegmarke] --

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