21. Juli 2017

Die Hooligans in den Straßenschlachten von Hamburg haben deutlich gemacht, daß einige von ihnen bereit wären, Polizeikräfte totzuschlagen. Das läßt einen zumindest die aktuelle Berichterstattung annehmen. Eine kühnere Herausforderung des staatlichen Gewaltmonopols kann ich mir derzeit nicht vorstellen.

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Hamburg, 6. Juli 2017 (Foto: JouWatch, Creative Commons)

Der individuelle Gewaltverzicht ist ein zentraler Bestandteil unsere Gemeinwesens, womit nicht bloß der Bereich des Zuschlagens gemeint ist. Es reicht schon eine gefährliche Drohung, um eventuell vor Gericht zu landen. Das dürfte einer der Gründe sein, warum die andauernde Epidemie innerfamiliärer Gewalt es in Österreich kaum in den öffentlichen Diskurs schafft.

Dabei haben speziell sexualisierte Gewalt und allgemein Gewalt gegen Frauen sehr markante Züge, über deren Wesen wir uns meist nicht gerade gerne Auskunft geben. Polemisch verkürzt ließe sich sagen, das liegt mit starken Anteilen an einer vorherrschenden Männerkultur, die solche Probleme nicht in den Griff bekommt.

Gewaltverzicht ist natürlich auch ein großes Problem zwischen Staaten. Durch Hamburg und die dortigen Unruhen könnte man derzeit speziell an Donald Trump erinnert sein, der ein ziemlich verhaltensorigineller Präsident Amerikas ist. Trump hat schon mehr als einmal deutlich gemacht, die Sicherheit Europas sei kein vorrangiges Interesse der Vereinigten Staaten, wir mögen uns dafür selbst stärker engagieren.

Ein nächster Anlaß, darüber zu sinnieren, daß Europa in seiner Sicherheitspolitik seit dem Zweiten Weltkrieg vor allem ein Protektorat Amerikas ist. Darin alleine liegen schon gute Gründe, über Fragen der Koexistenz zu grübeln, sei es auf persönlicher Ebene, sei es im Größeren von Staatsvölkern. Gerade die aktuellen Flüchtlingsbewegungen machen deutlich, daß Europas Staaten bezüglich Kooperation und Koexistenz nicht gerade auf der Höhe der Zeit agieren.

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Putin und Trump in Hamburg, 7. Juli 2017 (Foto: Kreml, Creative Commons)

Wann war denn je deutlicher, daß wir mit Problemen konfrontiert sind, die kein Nationalstaat für sich allein lösen kann, weil selbst gesamteuropäische Anstrengungen noch immer keine zufriedenstellenden Ergebnisse zeigen? Dabei machen mich die vaterländischen Heilsverkünder mit ihrem Geblöke von „Österreich zuerst!" immer noch staunen.

Man möchte fragen: Schaut Ihr denn nie auf eine Landkarte? Europa, dieses kleine Gärtlein am Rande des eurasischen Riesen, darin dieses winzige Österreich neben der winzigen Schweiz und dem winzigen Slowenien, Ungarn ist auch nicht gerade ein Gigant, Italien in erheblichen Nöten etc., dieses Stückwerk möchte also ein „Europa der Vaterländer" sein, ohne daß mir jemand in den letzten Jahren erklärt hätte, was das in der Praxis bedeuten könnte? (Na gut, die erigierten "Väter" dieses vaterländischen Europa-Konzeptes kennen wir.)

Vor solchem Hintergrund hab ich im Oktober 2015 das Thema Konvergenz [link] fix in unserer aktuellen Kulturarbeit verankert. Konvergieren heißt vor allem einmal, sich einander zuzuneigen. Das paßt mehr denn je zu Fragen der Koexistenz von Menschen mit sehr unterschiedlichen Lebenskonzepten. Wir diskutieren diese Dinge natürlich auch in Künstlerkreisen, manchmal allerdings bloß zwei Minuten lang..

Kürzlich publizierte der Schriftsteller Wolfgang Pollanz auf seiner öffentlichen Facebook-Leiste die Empfehlung, ein Interview mit Zana Ramadani zu lesen, welches sich im Kern darum dreht, wie muslimische Mütter ihre Söhne zu "Versagern" erzögen und damit allerhand Problemen Vorschub leisten würden, die uns gerade um die Ohren flögen.

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Quelle: Facebook, 16.7.2017

Ein Beispiel: „...Weil die Jungs zu Prinzen erzogen werden. Sie werden verhätschelt, verwöhnt, bedient und damit letztlich zu Versagern erzogen. Sie scheitern, weil der Westen eine Leistungsgesellschaft ist, ihnen aber zu Hause etwas ganz anderes beigebracht wird. Sie kennen es nicht, dass etwas von ihnen verlangt wird, dass sie sich anstrengen müssen. Und so scheitern sie." [Quelle]

Als langjähriges Mitglied der Selbsthilfegruppe anonymer Patriarchen bin ich natürlich froh, daß die Frauen schuld seien, wenn Männchen versagen. Die Gelegenheit einer Kritik an dieser Leistungsgesellschaft, wegen der uns schin geraume Zeit eine wachsende Anzahl von Beschleunigungsopfern um die Ohren fliegt, läßt Ramadani ungenutzt. (Das müßte man doch auch alles irgendwie den Müttern anhängen können.)

Egal, dieser Trubel macht so häßliche Betriebsgeräusche, daß man beispielsweise die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit und nach Chancengleichheit selbst innerhalb eines einzelnen Staates gar nicht mehr hören kann. In all dem läßt Frau Ramadani uns Männer zum Glück ungeschoren. (Sie hat eher mit "Gender-Feministinnen" noch eine Rechnung offen, wer immer das sei.) Es geht hier um das flächendeckende Versagen von Müttern, also von Frauen, damit hab ich als Mann folglich nichts zu schaffen.

Ich lasse vorerst beiseite, daß ich das ganze Interview für seicht, überwiegend polemisch und wenig informativ halte. Ich ignoriere vorerst, daß mir Frau Ramadani in Pose und inhaltlicher Gewichtung eher als bescheidene Boulevard-Größe erscheint, die im Lichte momentaner medialer Aufmerksamkeit einen langen Schatten wirft.

Ich bezweifle, daß sie als Publizistin ausreichend Substanz und langen Atem hat, um noch rezipiert zu werden, wenn wir nach wie vor Journalistinnen wie Gudrun Harrer oder Karin Kneissl zum Stand solcher Dinge befragen, wahlweise Journalisten wie Norbert Mappes Niediek oder Gregor Mayer (Wehrschütz aber lieber nicht!), beziehungsweise sachkundige Personen wie Ahmad  Mansour oder Lamya Kaddor. (Ich erwähne solche Referenzen, um offenzulegen, woran ich hier lieber Maß nehme.)

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Quelle: Facebook, 16.7.2017

Damit will ich sagen, daß ich das Ramadani-Interview nicht für lesenswert oder gar erwähnenswert halte. Gut, Wolfgang Pollanz sieht das anders. Er quittierte einen Einwand von Ursula Glaeser, der Initiatorin des KulturBüro Stainz, recht bemerkenswert. Sie meinte: „Könnte man auch nach seiner Allgemeingültigkeit hinterfragen. Wieviele Muslime kennen Sie, Herr Pollanz? Etwas mehr Differenziertheit wäre angebracht."

Pollanz konterte: „Was bitte soll man hier differenzieren oder relativieren? Dass es eh nicht so schlimm ist, wenn junge muslimische Männer nicht verschleierte Frauen für Schlampen halten? Haben Sie den Artikel überhaupt gelesen oder nur auf die Überschrift reagiert?"

Sie bemerken, was er macht? Er geht innerhalb der Antwort von einem Argument zur Sache in ein Argument zur Person über. Das ist ein alter Trick aus dem Handbuch der Niedertracht. Dieses Umsteigen von Fragen ad rem zu Bemerkungen ad personam soll das Gegenüber ruhigstellen. In der Folge referiert Pollanz stereotype Motive zum Thema junge islamische Männer. Dabei sekundierte ihm wenige Zeilen später Schriftstellerkollege Mike Markart alias Emilio Persichetti mit den Worten „erstaunlich, wie vehement ‚linke‘ gerne den islam-faschismus verteidigen."

Nun wird also im Zusammenleben autochthoner Andersdenkender plötzlich aus einem Appell zur differenzierten Betrachtung eine angebliche Verteidigung des „Islamfaschismus". Wäre nun Markart/Persichetti gerüstet, uns zu erläutern, was er a) mit „Linken" meint, die er unter Gänsefüßchen setzt, und was er b) vom Faschismus weiß, um Teile des Islam auf diese Art zusammenzufassen?

Wo Ramadani muslimische Mütter pauschal desavouiert, eine Differenzierung nimmt sie ja nicht vor, assoziiert Markart diese Milieus mit dem Faschismus, ohne sich näher zu erklären, setzt nach: „aber ich verstehe trotzdem nicht, warum sich jemand für eine schwachsinnige, diktatorische religion ins zeug legt." (Solche Art pauschaler Herabwürdigungen haben allerdings auffallend präfaschistischen Charakter.)

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Als der Publizist Hamed Abdel-Samad im Jahr 2014 "Der islamische Faschismus: Eine Analyse" publizierte, schrieb er darüber erstens mit der Innenansicht eines Moslems, der bekannte, daß er zur sunnitischen Muslimbrüderschaft gehört hat. Zweitens legte er diese Analyse vor, indem er politische Entwicklungen auf den Weg in den Nazi-Faschismus mit jenen Entwicklungen verglich, die in einigen Bereichen des Islam zum Tragen gekommen waren. Dabei stieß er auf Analogien, weshalb er diese Begrifflichkeit Islamischer Faschismus betont.

Das scheint aber einem wissenschaftlichen Diskurs nicht standzuhalten, was bedeutet, daß einige Parallelen noch keine derartige Zuschreibung rechtfertigen. Daher meine ich, daß die Floskel Islam-Faschismus keinen Eingang in den Alltagsdiskurs finden sollte, denn ihre Aussagekraft halte ich da für ebenso dubios wie jene der Frau Ramadani. Meine Zurückhaltung in solchen Fragen beziehe ich aus einem prominenten Präzedenz-Fall.

Die sogenannte „Habermas-Kontroverse", der Historikerstreit, entbrannte im Jahr 1986 rund um die Arbeiten von Ernst Nolte. Seine Aufsätze und das Buch „Der Faschismus in seiner Epoche" stützten sich auf einige Vergleiche, die von anderen Wissenschaftern angefochten wurden. Nolte konnte sich mit seinem Beitrag zur Faschismustheorie nicht durchsetzen. Wir dürfen daraus schließen, daß mit solchen Zuschreibungen vorsichtig umgegangen werde muß.

Von Sprachwissenschafter Victor Klemperer und seinen peniblen Aufzeichnungen zur „Lingua Tertii Imperii" könnte man wissen, wie fatal es ausgeht, wenn menschenverachtende Sprachmuster sich ungebremst etablieren dürfen. Wer sich also wegen eines möglichen Erstarkens faschistischer Konzepte sorgt, wäre aufgerufen, an sich selbst einschlägige Kontaminierung zu vermeiden.

-- [Kunstsymposion 2017: Koexistenz] --

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