4. Oktober 2017

Wie mag das Leben gewesen sein, als man noch keine Kraftfahrzeuge besaß, wenn man an entlegenen Orten gelebt hat? Jenseits von Birkfeld ist man meist nicht einmal mit Ochsen gefahren, sondern mit Kühen. Die Zugkraft von Pferden war seinerzeit für den Großteil der Bauern unerschwinglich.

log2411a.jpg (18288 Byte)

Gestern hockte das trüber Wetter behäbig auf der Region. Mit Tierarzt Karl Bauer und einem kosovarischen Agraringenieur auf stellenweise schmalen Wegen nach Waisenegg, wo in einem Bergbauernhof ein Kuhcafé [link] eingerichtet ist. Das heißt, über einem Stall, der rund 70 Tieren viel Raum gibt, kann man es sich hinter einem Panoramafenster bequem machen.

Was mich freilich mehr interessiert hat, ist ein Melkroboter, wie es bisher kaum welche im Land gibt. Das paßt irgendwie zu diesen Tagen, als wir via Medien erfuhren, die Butter würde knapp und daher teurer werden. (Wäre einmal mehr zu fragen, warum in der Milchwirtschaft so wenig Geld zu den Bauern kommt.)

log2411b.jpg (33544 Byte)

Wenn ich es recht verstanden hab, sieht der historische Verlauf so aus: Melkschemel, Melkmaschine, Melkstand, Melkroboter. Das heißt, der aktuelle Stand spart das Melkpersonal ein, welches bis zum Melkstand noch an jedes der Tiere ging. Wer alt genug ist, kennt dieses Witzchen aus vergangenen Tagen: Ein begnadeter Geschäftsreisender landet bei einem Bauern, der bloß eine Kuh im Stall hat, verkauft ihm eine Melkmaschine und nimmt die Kuh als Anzahlung mit.

Das hat auch einige Niedertracht, denn es führt den Bauern als eher dümmlichen Menschen vor. Mir fällt auf Anhieb kein anderer Berufsstand ein, der in den Umbrüchen der letzten 60 Jahre nicht verschwunden, sondern seinen Kräften radikale Lernschritte abverlangte, weil sich die Rolle dieses Berufsstandes innerhalb der Gesellschaft zum wiederholten Mal völlig verändert hat; von den technischen Innovationen ganz zu schweigen.

log2411c.jpg (29035 Byte)

Mit Bäuerin Rosa Derler war das in einer kleinen Plauderei bemerkenswert auszuleuchten. Sie gehört meiner Generation an, was bedeutet, innerhalb dieser Lebensspanne haben sich technische Revolutionen ereignet, soziale Umbrüche ergeben, wobei ich schon in meinen Kindertagen und ohne besonderes Interesse an diesen Themen wußte, daß es Bergbauern schwerer hätten als die anderen.

Der Betrieb stützt sich heute auf rund 40 Hektar Grund. Etliches davon gepachtet, wie ich gehört habe, denn die Wirtschaft selbst umfaßt etwa 12 Hektar. Das ist eine ganz typische Dimension für die Oststeiermark, wobei auch kleinere Landwirtschaften häufig waren, oft nur mit sechs Hektar.

Das macht anschaulich, warum sich einst etwa die Anschaffung und das Halten von Pferden nicht erwirtschaften ließ, die Kühe also auch punkte Zugkraft herhalten mußten. Diese Erläuterung scheint heute nötig, da wir es mehrheitlich gewohnt sind, Autos zu besitzen und viele Familien im Land ganz selbstverständlich über weit mehr als bloß ein Kraftfahrzeug verfügen.

log2411d.jpg (28927 Byte)

Heuer waren es 70 Jahre, daß die Steyr-Daimler-Puch AG den ersten österreichischen Kompakttraktor ausgeliefert hat; nicht den legendären Fünfzehner, sondern die zweizylindrige Stupsnase. Bäuerin Derler erinnert sich daran, wie ihr Großvater seinen ersten Traktor gekauft hat. "Der konnte ja nichts derziehen", sagte sie. Aber immerhin, die erste Mechanisierungsstufe war angelaufen.

Bald darauf erhielten die Traktoren Zapfwellen, Hubwerke, allerhand Peripherie, auf daß eine einzelne Person jenen Verlust an Arbeitskräften ausgleichen konnte, den der Lauf der Dinge unserer agrarischen Welt aufgebürdet hatte. Das ist die Funktion der Maschinen bis heute.

Da inzwischen die industrielle Landwirtschaft sich der Bilderwelten aus der bäuerlichen Landwirtschaft bedienen, um ihre Produkte zu vermarkten, scheint es schwieriger denn je, allgemein realistische Ansichten zu etablieren, was heute das bäuerliche Leben bei uns ist.

.log2411e.jpg (22461 Byte)

Übrigens, das Kastenkreuz auf dem Hof verweist noch auf ein anderes, sehr interessantes Thema, dessen kulturelle Tragweite eher unterschätzt wird. Die Klein- und Flurdenkmäler, zu denen Wegkreuze und Bildstöcke zählen, sind Elemente einer vorindustriellen Info-Sphäre, die uns detailreich umgibt und die weit mehr transportiert als religiöse Inhalte. Aber dazu bei anderer Gelegenheit...

-- [Dorf 4.0] --

[kontakt] [reset] [krusche]