25. Oktober 2017

Ich mag allerhand Worte bloß aufgrund ihres Klanges. Das phonetische Phänomen geht mir dabei über das, was der Begriff bezeichnet. Dabei gefallen mir besonders Wörter aus Sprachen, die mir völlig fremd sind, wie etwa Finnisch oder Maori, weil sich da gar keine Deutung hereindrängt. (Fußnote: Te Reo Maori wurde in Neuseeland erst 1987 als Amtssprache anerkannt.)

log2422a.jpg (11693 Byte)

Kleiner Einschub: Ich habe es mir längst abgewöhnt, immer fokussiert und bei der Sache sein zu wollen. Die Welt ist so voller rasend interessanter Angelegenheiten, da soll man sich nicht ständig entscheiden müssen, was man alles aus der Betrachtung ausschließt.

Es gibt aber auch Formulierungen, die gefallen mir, weil sie dem Gesicht eigentümliche Bewegungen verpassen. So zum Beispiel: Freeze Frame. Da wirft die Gesichtsmuskulatur beim Aussprechen allerhand Assoziationen an, die sich in Bildern niederschlagen. Genau! Ich denke Wörter nicht nur, ich spreche sie manchmal aus, um von ihnen einen Eindruck zu erlangen.

Freeze Frame ist so eine Formulierung, die ausgesprochen werden möchte. Sie erweist sich überdies als passender Hinweis auf die Ausstellung, die nicht fertig werden durfte. Da ich ein energischer Anhänger von Prozessen zulasten der Ergebnisse bin, da mich in der überwiegenden Anzahl von wesentlichen Angelegenheiten die Prozessen mehr fesseln als die Ergebnisse, macht mir diese frivole Entscheidung des Kollektivs SPLITTERWERK [link] Freude, den Prozeß auf dem Weg zu einer Ausstellung eingefroren zu haben.

Sir Peter Cook ist ein Architekt mit erheblicher Reputation. Als nun vereinbart war, was im Grazer Project Space SPLITTERWERK von ihm gezeigt werden solle, kam diese stets mühevolle Arbeit in Gang, die immer auch ein intensiver Denkprozeß ist. Daran wäre nichts zu beklagen, denn diese Art der Mühe ist ein wesentlicher Zweck.

log2422b.jpg (33098 Byte)

Doch dann, so scheint es, änderte Cook seine Vorstellung von dem, was sich in diesem Grazer Hochhaus ereignen solle, was dann wiederum mit dem SPLITTERWERK-Vorhaben kollidierte. Nun hätte man sich dem werten Publikum andienen und dafür Cooks Änderungswünsche abarbeiten können, denn der renommierte Mann schrieb: "EITHER DO THAT OR SCRUB THE WHOLE TYHING".

Pech für Cook und fürs Publikum, so läuft das dort nicht. Daher entschieden Edith Hemmrich und Mark Blaschitz, den ganzen Prozeß an einer bestimmten Stelle einzufrieren. Freece Frame. Genau DAS wurde nun die Ausstellung "Sir Peter Cook is dancing Mixed media installation with deliveries from Hamburg, Cologne and Munich": [link]

Dieser Tage ist Milena Renate Findeis aus Prag zu Besuch in Österreich. Die Herausgeberin des "Zeitzug" [link] kam mit, um die eingefrorene Ausstellung zu sehen. Das wurde zugleich ein Plauderstündchen über eine Reihe von kulturellen und kulturpolitischen Fragen. Da wird dann klar, daß wir bei solchen Debatten eigentlich zu selten über Architektur reden.

Das paßt mir thematisch grade zur Aufwärmrunde für unser 2017er Kunstsymposion, wo es im Hintergrund natürlich auch um Fragen der Kunst, der Politik und der Kulturpolitik geht. Was Architektur und Kunst in Österreich vor allem anderen verbindet, ist der Umstand, daß sich jederzeit eine Legion von Menschen finden läßt, die bei Bedarf äußern: „Ich verstehe ja nichts davon, aber…"

Dann folgt in der Regel eine zu Tränen rührende Expertise. Und weil doch alle Menschen irgendwo wohnen, nur ganz wenige vielleicht unter einer Brücke, fühlen sich natürlich auch alle Menschen qualifiziert über Architektur zu reden, ohne dabei freilich das „Aber" zu vergessen. Dieses "Aber" ist die Kurzform von „Ich meine ja nur" und besagt: Jeder Einwand ist zwecklos, ich möchte mir sowas gar nicht erst anhören. (Bei Raketenwaffen nennt man diesen Modus "Fire And Forget".)

log2422c.jpg (44165 Byte)

Ich vermute, man sollte unseren Leuten zu Fragen der Architektur für ihren Alltag nicht sehr viel mehr zumuten, als ein Lego-Häuschen mit spitzen Satteldach zu mögen, wahlweise das Stadtpalais eines Erzherzogs. Selbst dem Laien mag dann gelegentlich noch einfallen: aha, eine Jugendstil-Villa. Das war's dann. Dazu wären kritische Diskurse über Architektur sehr anregend.

Als man mir vor einigen Jahren ein ausladendes Ensemble vor mein Küchenfenster gebaut hat, konnte ich noch bestaunen, welche Struktur sich dabei entfaltete. Als dann in den mir zugewandten Bereich eine renommierte Bildungseinrichtung einzog, wurden nicht bloß die Fenster mit überdimensionalen Logos versehen, sondern es kam auch eine auffallend große Leuchtschrift an die Fassade. Damit wurde deutlich, daß sich der Architekt nicht alle, aber doch manche Mühe der Gestaltung hätte sparen können, weil da jegliche Linienführung des Bauwerks von den Marktschreiern mit der Leuchtreklame einfach überschrieben wurde.

Ich muß mir solche Art der Dummheit nun jeden Tag ansehen und bin überzeugt, das kommt eben, wenn man völlig ungestört von ästhetischen Erfahrungen zwischen den bescheidenen Träumen von Lego-Häuschen und Stadtpalais aufwachsen darf, wenn selbst eine erklärte Bildungseinrichtung sich der Bevölkerung im öffentlichen Raum über so einen Mangel an Bildung mitteilen darf, ohne dabei Einwände hervorzurufen.

Aber zurück zum  SPLITTERWERK-Vorhaben. Wir haben erneut zu verhandeln, daß es im Kulturbetrieb keineswegs stets um Ergebnisse geht und schon gar nicht um das Abliefern von Wow-Effekten. Es geht sehr viel mehr um das Beleben und Erhalten von Denkräumen, Erfahrungsräumen. Das wird leider auch an manchen Stellen, in manchen Gemeindestuben und Rathäusern nicht recht verstanden und wirft folglich Klärungsbedarf auf.

Denkräume und Erfahrungsräume, die nicht auf den Alltag und Wow-Effekte verpflichtet sind, ergeben jene Basislager, von denen aus man in eine Zukunft aufbricht. Wo sie fehlen, wird es eventuell bloß gelingen, in die Vergangenheit aufzubrechen.

-- [Kunstsymposion: Politik] [Kunstsymposion: Kulturpolitik] --

[kontakt] [reset] [krusche]