28. Oktober 2017

Inzwischen erreichen mich auch manche Einwände zu diesen meinen (kultur-) politischen Notizen. Gut so! Ich fände es völlig unzureichend, eigentlich wirkungslos, wenn in der Sache dominieren dürfte, was ich die letzten zehn Jahre so oft erlebt habe. Da erschöpfte sich das Meiste an kulturpolitischem Diskurs darin, daß Leute meines Metiers sich über politisches Personal klagend ausließen, bestenfalls ein paar Protestnoten verfaßten.

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Graz hat eine wunderbare Tradition, beim Konsum von wenigstens zwei Dritteln des gesamten steirischen Kulturbudgets eine Jammerkultur zu pflegen, in der sich die Intiativenszene, frei oder autonom, wie es beliebt, vor allem brav bei den Boulevardblättern anstellt, wenn es was zu beklagen gibt. Aber in den eigenen Medien, über die eigenen Kanäle, kann ich kaum etwas an kulturpolitischem Diskurs finden, in dem geklärt würde, was wir derzeit tun, wozu wir es tun und was es braucht, daß es sich zeitgemäß entwickeln kann.

Können wir uns in dieser Sache über ein paar Punkte verständigen? Ich erlebe nun seit vielen Jahren, daß Kunst und Kultur zunehmend zu Mägden des Marketing gemacht werden. So manche Fachkraft der Verwaltung reißt sich Kulturbudgets unter den Nagel, um damit Marketingarbeit zu machen, was selbstbewußte und kritische Kunstschaffende naturgemäß von der Mitwirkung ausschließt, denn so deppert ist ja kein erfahrener Künstler, keine verierte Künstlerin, sich derat plump instrumenatilieren zu lassen.

Da schlägt dann in der Provinz auch die Stunde der künstlerischen Hobbyliga und es läßt sich inzwischen an x Beispielen darstellen, daß "Kunstveranstaltungen" zunehmend einen simplen Hauptzweck haben. Sie führen zu geselligen, gut vermittelbaren Ereignissen, aus denen sich vor allem Pressefotos ableiten lassen, auf die rund um ausstellende Kreative möglichst viele Personen aus Politik und Verwaltung gepfropft werden.

Das ist einer der Schwachpunkte in der aktuellen Situation. Ein anderer Schwachpunkt ergibt sich aus der Tatsache, daß heute natürlich rechtspopulistische Kräfte zu den Schaltstellen der Kultur drängen. Ist das Wasser naß? Ist der Papst katholisch? Was haben wir denn erwartet, wo sich die Neue Rechte seit den 1980ern unübersehbar bemüht, ihre Präsenz in allen Institutionen der Gesellschaft auszuweiten?

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Diese Effekte bekommt derzeit natürlich das Landeszentrum eher zu spüren als die Provinz. Am 22. November des Jahres hab ich hier notiert, wo die IG Kultur Steiermark in diesen Dingen derzeit angekommen ist: [link]

Diese Interessensvertretung der Kulturinitaitiven, quasi eine Kulturgewerkschaft, lud in Gleisdorf zu einem "Vernetzungstreffen". Dabei wurde die Arbeit des Gleisdorfer Kulturreferates als Beispiel einer Best Practice vorgestellt, was zum skurrilen Effekt führte, daß der Gleisdorfer Kulturreferent eine persönlicher Leistungsschau brachte und wir Initiativenleute uns unter anderem anhören durften, welche Probleme er mit Publikumsfrequenz und Kulturbudgets hat. Eine groteske Verkehrung dessen, was eine IG Kultur leisten sollte.

Damit scheint mir auf jeden Fall deutlich gemacht, daß nun seit dem Ende der 1970er Jahre ein interessanter Prozeß seinen Schlußpunkt erreicht hat und es sich eigentlich nicht mehr lohnt, von einer freien oder autonomen Initativenszene zu sprechen. Dieses außergewöhnliche soziokulturelle Experiment hat funktioniert, hatte seine Glanzzeiten, ist in einen Regelbetrieb übergegangen, der sich teilweise selbst nicht mehr versteht.

Das macht nichts und das macht Platz für neue Ansätze, auf die wir hoffen dürfen, denn -- um ein altes Bonmot anzubringen -- das Einzige, was sich nicht ändert, ist doch die Tatsache, daß sich stets alles ändert; so auch die Initiativenszene.

Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich dieses Feld erneuert. Ich denke, es werden neue Arbeitsweisen und Formationen entstehen müssen. Das scheint mir unter anderem auch nötig, weil momentan sehr alte politische Konzepte ein atemberaubendes Revival erleben. Derzeit kommt offenbar ein Herr Strache in die Regierung, den man vor wenigen Monaten mit einer völlig hanebüchenen Behauptung zitieren durfte: "Es findet zur Zeit ein Austausch der Bevölkerung statt. Wir müssen das stoppen." So das Intro einer Sendung "Talk im Hangar 7", die auf Youtube unter dem Titel "Muslime in Österreich" am 10.06.2017 veröffentlicht wurde: [link]

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Straches kühne Bahauptung ist deckungsgleich mit dem Begriff Umvolkung, wie in der Nazizeit aus vorangegangenen völkischen Diskursen übernommen und verbreitet wurde: [link] Natürlich liefert Strache keinerlei nachvollziehbare Belege für seine skurrile Behauptung. Muß er auch nicht, denn es geht hier nicht um Fakten, sondern darum, daß er in der Bevölkerung eine Sorge zu triggern versucht, für die er sich selbst als Trost und Lösung anbietet. (Politik als Produkt!)

Strache verheddert sich in dieser Debatte mit der Muslimin Meriem Lebdiri unübersehbar in eine Konfusion, die immer dann entstehen muß, wenn man die Kategorien Demos und Ethnos nicht unterscheiden will, wenn man Staatsvolk (Politik) und Ethnie (Kultur) verwechselt oder beliebig vermischt.

Ich hab im jüngsten Wahlkampf die Unterscheidung dieser Kategorien -- Demos und Ethnos -- schmerzlich vermißt. Wie sehr übrigens unsere vaterländischen Kräfte in ihrem Selbstwertgefühl schwächeln, in ihrer Identität schwankend sind, demonstrierte Strache an einer Stelle besonders deutlich. Er sagte über Immigranten (welche?), sie hätten kundgetan: "Na, in wenigen Jahrzehnten werden wir die Mehrheitsgesellschaft sein, wir wollen uns nicht integrieren." Er fügte hinzu: "Die fördern eine Gegen- und Parallelgesellschaft."

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Sollte das tatsächlich jemand verkündet haben (Bitte um eine Quellenangabe!), würde ich bloß müde lächeln und erwidern: "Herzchen, du hast offenbar keine Ahnung, womit du es hier im Abendland zu tun bekommst. Du genießt da bloß feuchte Träume eines muslimischen Spießers. Ich werde dir gerne dabei zusehen, wie dir bei uns die jungen Frauen und Männer davongehen, um mit unserer Unterstützung herauszufinden, was ein Leben unter Beachtung der Menschenwürde ist und bedeutet. So viel Sprengstoff bringt ihr traurigen Spießer nicht zusammen, um unsere Kultur zu erschüttern. Austausch der Bevölkerung? Lächerlich!"

Na gut, das ist jetzt bloß eine Traumsequenz, zugegeben, etwas dünkelhaft, denn mir gehen diese erigierten Prediger genauso auf die Nerven wie unsere autochthonen Männchen, die ihre Augenbrauen tanzen lassen, während sie mit Kruzifixen wacheln. Da wüßte ich gerne genügend Kulturschaffende an meiner Seite, die mit ausreichend kompetenter Arbeit solchen vaterländischen Gauklern das selbstergriffene Grimassieren aus dem Gesicht wischen.

Reden wir also über unsere Kultur, unsere Identität, unsere Geschichte. Reden wir über Volkskultur, Popkultur, Gegenwartskunst. Klären wir, was es mit all dem auf sich hat und warum Kunst wie Kultur genau nicht zu Mägden des Marketing verkommen dürfen.

-- [Kunstsymposion: Kulturpolitik] --

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