23. Dezember 2017

Wäre ich wie Alexander von Humboldt, der im gleichen Mai (1859) starb wie Erzherzog Johann von Österreich, ich müßte allem was mich interessiert draußen in der Welt nachgehen. Ich müßte Berge und Sumpflandschaften erkunden, entlegene Dörfer und kaum begehbare Wälder. Ich müßte mich dem Meer aussetzen, auf dem bei schlechtem Wetter sieben bis zehn Meter hohe Wellen noch keine besondere Erscheinung sind.

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Ich habe als Kind den Begriff Schwere See sehr gemocht und alles an Büchern verschlungen, was mir zum Thema Seefahrt erreichbar war. Aber ich bin eben ein Büchermensch geworden, kein Abenteurer. Im Französischen ist homme de lettres der Begriff für den Literaten, dem die femme de lettres gegenübersteht.

Das Wort l'écrivain wird im Sinne des Belletristen verwendet. L'auteur ist als der Autor im Sinne des Urhebers erkennbar. (Poète muß wohl nicht erläutert werden.) Ich kann mich manchmal in einer Freude am Klang einzelner Worte verlieren. Das bedeutet unter anderem, mir fehlt der lange Atem für große Prosa ;-)

Ich hab schon mehrfach erwähnt, daß Bücher bis heute als unübertroffene Datenträger gelten, was sich auf absehbare Zeit eher nicht ändern wird. Disketten sind bei jemandem wie mir noch gelegentlich in Gebrauch, doch haben unsere Rechner längst keine Laufwerke mehr dafür, die müssen als Zubehör beschafft werden.

Bei den Silberscheiben ist ein Ablaufdatum ihrer Haltbarkeit unübersehbar und von Profis höre ich ein Raunen, die Industrie habe ein Ende des Portable Document Format (kurz PDF) längst beschlossen. (Das ist möglicherweise angesichts der grassierenden Geschwätzigkeit keine schlechte Nachricht.)

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Gelber Muskateller, Weißburgunder, nun aber auch wieder verstärkt Zweigelt... Und Bücher, Bücher, Bücher. So sieht bei mir Arbeit aus. Abschnittweise. Darin lägen auch Momente der Poesie. Oder ganz triviale Stoffe. So habe ich gestern einige Bänder des „Jahrbuch der Automobil- und Motorboot-Industrie“ aus den Jahren 1904 bis 1911 durchgeackert, um jenes Patent zu finden, mit dem das Prinzip des Sattelschleppers festgehalten wurde, durch das sich damals Teile des Transportwesens in neue Breiche führen ließen.

Bei dieser Recherche erfuhr ich zu meinem Erstaunen, daß die Firma Jagenberg damals vor allem mit der Perga-Packung Furore gemacht hat. Milchpackerln, Saftpackerln, sogar Wein in Packerln, also in "Getränkekartons", die als Giebelkarton (Ecken abschneiden) oder mit Schraubverschluß gefertigt sind. So wurden Flüssigkeiten effizienter lagerbar und transportierbar als in Flaschen. Ich liebe es, gelegentlich und per Zufall über so banale Details zu stolpern. Aber zurück zu den Jahrbüchern.

Da lese ich in einer der Einleitungen: „Der erste Band richtet sich an alle Automobilisten, der zweite Band an den Ingenieur und Fabrikanten.“ Was nun den Sattelschlepper angeht, die deutsche Patentschrift No. 168 659 (Emil Jagenberg jun.), ein Kaiserliches Patent, handelt von der Verbindung eines Motorwagens „mit einem auf diesen mittels Drehkranzes sich stützenden Lastwagen“ und trägt das Datum 21. August 1904.

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Nein, man muß das nicht wissen. Aber ich muß. Diese unzähligen Puzzle-Steinchen, aus denen sich ein nachvollziehbares Bild des 20. Jahrhunderts ergibt. In jenen frühen Jahren hatten Deutschland und die USA gerade England, bis dahin der Welt führende Industrienation, überholt.

Daß diese atemberaubende technische und wirtschaftliche Entwicklung dann im Großen Krieg von einer Legion durchlauchtigster Idioten in Blut getaucht wurde, sollte uns auch daran erinnern, daß Österreich dabei allen Nationen vorangegangen war. Dieses Österreich, dessen Rest wir sind, das ein Weltreich gewesen ist und einen kleinen Balkankonflikt mit einem kleinen Staat (Serbien) weder zeitlich, noch räumlich einzugrenzen verstand.

Das wurde auf zynische Art schöngeredet. Es ist seit damals offenbar kaum Neues erfunden worden, wenn man sich die vaterländischen Tiraden ansieht, die erbärmlichen nationalistischen Sprachregelungen, mit denen auch heute noch Politik gemacht wird. Vom "America first!" bis zu "Österreich zuerst!", das ist alles ein Denken aus dem späten 19. Jahrhundert.

Das Nebulöse solcher Posen der Großspurigkeit hat Geschichte. Von Kaiser Friedrich III. (1415–1493) ist ein Wahlspruch überliefert, dessen Inhalt unklar blieb. Wir kennen nur das Kürzel AEIOU, wie man es zum Beispiel an der Grazer Burg finden kann.

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Das Akronym an der Grazer Burg (Foto: Andreas Praefcke, Creative Commons)

In meiner Volksschulzeit erfuhr ich, die Buchstaben stünden für "Alles Erdenreich ist Österreich Untertan". Was mag in so einem Aristokraten vorgegangen sein, derlei Omnipotenzphantasien zu leben? Es heißt, man kenne über 300 Deutungen des Kürzels und offenbar gibt keine Quellenlage Aufschluß, was vom Kaiser tatsächlich gemeint war.

Damit bin ich aber eigentlich bei einem Querverweis zu unserem "Sarajevo-Kontext" angelangt, an dem ich derzeit mit Heimo Müller und Selman Trtovac zu arbeiten begonnen habe. Ein Teil des 2018er Kunstsymposions. Das Jahr 1918 als Ausdruck eines enormen Blackouts, das Jahr 2018 mit der Anforderung von Rückblick und Ausblick...

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