4. Jänner 2018

Kürzlich ein ganzer Bus allein für mich, quasi ein ziemlich großes Privattaxi. Transportsysteme. Leise klingen andere Verhältnisse im Rauschen des Alltags. Eben noch war der Besitz eines eigenen Autos Statement. Zugleich trifft man grade auf dem Kunstfeld immer wieder Menschen, die einen demonstrativen Verzicht auf Führerschein und Auto pflegen.

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Etwa der exzellente Lyriker Wolfgang Siegmund. Oder Graphic Novelist Chris Scheuer. Ich hab dagegen mein Auto aufgegeben, um Geld zu sparen, da diese Karre die meiste Zeit herumstand. Dabei war ich es leid, mich dauernd um etwas scheren zu müssen und vor allem in der kalten Zeit hinzunehmen, daß es immer Probleme und Kosten gab.

Die geplante Obsolenz oder das Verbauen zu billiger Komponenten gehen heute erheblich ins Geld. Ich erinnere mich noch über meinen Ärger, etwa einen neuen Scheibenwischerschalter zu brauchen. Wie oft bin ich gefahren und wie oft davon bei Regen? Es ist also völlig abstrus, daß so ein Schalter nicht bis in die Schrottpresse hinein hält.

Ganz anders die Lichtschalter in der Wohnung, die einem heftigen Gebrauch unterliegen. Aber auch da ist es für mich neu, daß welche ausgewechselt werden müssen, weil sie kaputtgegangen sind. Seit gestern bin ich übrigens sicher, daß ich Lampen mit Halogen-Birnen aus meinem Haushalt entfernen werde, denn es ist lächerlich, wie bald die durchbrennen.

Ich werte diese Alltagserfahrungen derzeit als kleine Illustrationen meines Durchforstens unserer Industrie- und Konsumgeschichte. Ich hab an anderer Stelle sicher schon erwähnt, was die Literatur betont: keine industrielle Revolution ohne agrarische Revolution.

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Modell einer Jenny  (Foto: Markus Schweiß, GNU Licence)

Wie Emil Jellinek einst die von ihm erfolgreich konzipiertern Daimler-Autos nach seiner Tochter Mercedes benannte, tat es 1767 James Hargreaves mit seiner mechanischen Spinnmaschine, die er nach seiner Tochter Jenny benannte. Dieser Apparat markiert einen fundamentalen Umbruch.

Bevor sich Baumwolle als das attraktivere Rohmaterial durchsetzte, ging in England der Bedarf an Schafwolle enorm hoch. Eine der Konsequenzen waren große Umstellungen von Ackerbau auf Schafzucht, die zumal weit weniger arbeitsintensiv ist als das Bestellen von Feldern. Aber seit Kain und Abel ist klar, daß sich Ackerland und Weideland gegenseitig ausschließen. Das hatte also für die Ernährungslage in Großbritannien prekäre Folgen.

England war zu der Zeit auf dem Weg zur mächtigsten Industrienation der Welt. Doch selbst in meinen Kindertagen hatte das Wort Schwedenstahl noch einen besonderen Klang. Wieso tat sich Schweden über Jahrhunderte als Stahlproduzent hervor? Waldbestand!

Ulrich Menzel nennt in seinem großen Werk "Imperium oder Hegemonie?" einige der Gründe. Vorweg bestand ein "Engpass nicht bei den Arbeitskräften, sondern beim Brennstoff zur Verhüttung des Roheisens" Das kennt man auch von der Geschichte des steirischen Eisens. Raubbau statt Forstwirtschaft führte zu manchem Desaster. Das enorme Abholzen regionaler Wälder wurde beispielsweise zu einem der Gründe für die Ferdinandeische Bergordnung (1553).

Menzel: "Weil die Wälder Großbritanniens, durch den Schiffs- und Hausbau schon stark beansprucht, zur Neige gingen, konnte nur noch wenig Holzkohle produziert werden. Deshalb waren das waldreiche Schweden mit seinem mittelschwedischen Revier und sogar das ferne Russland mit Hüttenbetrieben am Ural im 18. Jahrhundert als führende Eisenproduzenten an England vorbeigezogen."

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1862: Whipple and Starrord's Machine for Combining Cotton

Doch der erste Vorreiter der Industriellen Revolution war die Textilindustrie. Spinnmaschinen und mechanische Webstühle gruben schmerzliche Schneisen in den sozialen Frieden etlicher Länder. Selbst wer ohne Interesse an Europas Geschichte ist, hat vermutlich von Weberaufständen und Maschinenstürmerei gehört, hat wenigstens diese Begriffe behalten.

Das ist für uns mindestens als Hintergrundfolie von Interesse, weil wir gerade neue technologische Umbrüche erleben, eine Vierte Industrielle Revolution, in der weiter Maschinensysteme Arbeiten übernehmen, die bisher von Menschen geleistet wurden.

Eines der Kriterien bei der Betrachtung von solchen Zusammenhängen ist die Produktivität. Menzel macht das am Beispiel der Baumwollspinnerei anschaulich. Bis 1800 wurde in England mit der Handspindel gearbeitet, was pro Stunde rund 4,2 Gramm Garn ergab. Mit dem Handrad gelang praktisch eine Verdoppelung der Produktion auf 8,1 Gramm pro Stunde.

Hargreaves "Jenny" von 1767 drehte 16 Spindeln und produzierte in einer Stunde 24 Gramm Garn, was ein bis eineinhalb Arbeitskräfte band. Die "Mule-Jenny" schaffte einen Kategoriensprung. Sie bedurfte zum Antrieb eines Pferde-Göpels, brauchte dabei auch bloß ein bis eineinhalb Arbeitskräfte, bewegte aber 216 Spindeln und lieferte pro Stunde 120 Gramm Garn. Der "Wagenspinner" von 1840 wurde mit Wasserkraft angetrieben, brauchte zwar rund 20 Arbeitskräfte, drehte aber tausend Spindeln und produzierte in der Stunde 360 Gramm Garn.

Durch Technologiesprünge stieg also die Produktion von 4,2 auf  8,1 Gramm pro Stunde, von 24 auf 120 Gramm, schließlich auf 360. Das bedeutet, wenn ich die richtigen Schlüsse ziehe, bei einer Steigerung des Output von 1 auf 85,7 bloß ein erhöhter Personalbedarf von 1 auf 20. Drei Viertel des Personals konnten eingespart werden.

Es ist also zu betonen, daß agrarische Welt und Industrialisierung vom 18. bis in das 20 Jahrhundert eng verknüpft blieben. Ist das heute noch so? Was tut sich auf den Dörfern?

-- [Dorf 4.0] --

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