31. Jänner 2018

Ich bin ein Netizen. Ein Bürger der Netze. Ich pendle tagtäglich zwischen dem Realraum und dem kühlen Extrazimmer Internet. Das ist durch eine sehr konkrete Auffassung von Netzkutur getragen. Das Wort Netizen leitet sich vom englischen Citizen ab, welches dem französischen Wort Citoyen entspricht. Es bedeutet Bürger, beziehungsweise Staatsbürger. Das ist kein ethnischer, sondern ein politischer Begriff. Er bezeichnet also ein Mitglied des Staatsvolkes (Demos), unabhängig davon, welcher kulturellen Formation (Ethnos) sich jemand zugehörig fühlt.

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Ich bin daher ein Netzbürger mit einem sehr ausdifferenzierten Verständnis von Netzkultur. Die Begrifflichkeit "kühles Extrazimmer" hab ich vor Jahren in einschlägigen Projekten eingeführt, etwa 2005 im "Cybertrail", wo zu notieren war: "Eine EDV-gestützte Extension des analogen Raumes. Mein 'kühles Extrazimmer' als Erweiterung des herkömmlichen Raumangebotes." [Quelle]

Wir wissen freilich inzwischen, daß wir im Netz nicht jene traditionelle Form von Öffentlichkeit und öffentlichem Raum finden, die uns noch von den Dimensionen der Agora her vertraut sein könnten, wobei leibliche Anwesenheit eine politische Kategorie ist, wo eine Begegnung von Angesicht zu Angesicht andere Diskursformen ermöglicht als es TV-Auftritte und Netzpräsenz tun.

Seit Österreichs Regierung einen massiven Rechtsruck vollzogen hat, erlaubt mit das Netz keinerlei Illusionen mehr, daß wir in der Konfrontation mit der Neuen Rechten auch bloß in Nischen angemessen aufgestellt wären. Gerade via Facebook bestürmen mich die peinlichen Nachrichten, daß mein Milieu von Leuten bevölkert ist, deren Räsonieren, Rotzen und Kotzen über die unerfreuliche Entwicklung sich weder inhaltlich, noch im Tonfall nennenswert über dem Stammtisch-Niveau bewegt, das wir einer Wählerschaft von FPÖ oder Identitären zutrauen.

Wenn man aber nun mit dieser Art der eher geistlosen Erregung den Meistern der Polemik etwas entgegenhalten möchte, wird man bestenfalls herausfinden, daß man in dieser erbärmlichen Pose eine Position drei Meter links von Dschingis Khan erreicht hat. Das reicht nicht, um unserer Demokratie das Fundament zu stärken.

Dazu kommt eine vielfach auffallende Schwäche der Urteilskraft. Jüngste Vorfälle, die "Liederbuch-Affäre" der Burschenschaft Germania und der Akademiker-Ball in der Hofburg, haben uns markante Medienauftritte dreier Exponenten der FPÖ beschert. Udo Landbauer, der um ein politisches Amt bangt, das mit rund 8.000,- Euro brutto bezahlt wird, in der "Zeit im Bild".

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Der arrivierte Harald Vilimsky in "Im Zentrum" und kurz darauf der schon merklich etwas müde und daher äußerst reizbare Andreas Mölzer in der gleichen Sendeleiste: [link] Ich staune, welche rhetorischen Qualitäten diesen Herren auf Facebook zugestanden werden, inklusive so mancher angeblicher NLP-Fertigkeiten. Traumgespinste!

Von all dem konnte ich in den Gesprächen nichts finden. Stattdessen bei Landbauer müde Ausreden, in denen kein einziger interessanter Satz vorkam. Bei Vilimsky und Mölzer vor allem schlechtes Benehmen, Tiraden in einem völligen Mangel an Gesprächsdisziplin, durchsetzt von persönlichen Beledigungen in Richtung anderer Personen der Gesprächsrunden.

Das ist also bloß Rüpelhaftigkeit, gewürzt mit ein paar geschickten strategischen Zügen, die leider von der Moderation nicht sonderlich gebremst wurden. Dazu will ich später noch ein paar Überlegungen anbringen. Ich bleibe vorerst beim unbegreiflichen Schwächeln vieler Opponenten dieser Rabauken.

Kleiner Eischub. Ich hab mir dieser Tage noch einmal Forest Whitaker (an der Seite von Orlando Bloom) als "Zulu" (2013) angesehen. Südafrika nach dem Ende der Apartheid. Regisseur Jérôme Salle erinnert mit einer schockierenden Eindringlichkeit, daß in manchen Ländern ein Ausmaß an Gewalt zum Alltag gehört, das möchten wir uns gar nicht vorstellen.

Terry George hat das 2004 in "Hotel Rwanda" (mit Don Cheadle) auch deutlich gemacht. Dort konnte man unmißverständlich erfahren, daß den Massakern ein Krieg der Worte vorangeht. Erst werden die Mitmenschen zu Gegenmenschen erklärt, dann zu Nichtmenschen. Ist das vollzogen, beginnt das Kehlendurchschneiden. Genau dieser Modus spielte auch im Untergang Jugoslawiens eine zentrale Rolle, wo es zu Kriegsverbrechen und zu zivilen Schandtaten kam.

In einem Gespräch mit dem bosnischen Autor Dzevad Karahasan -- "Die Kunst schützt uns vor Gleichgültigkeit" -- sagte der sehr treffend: „Die Kriege auf dem Balkan sind vorab geschrieben worden.“ Das Personal der Nazi hat es einst ebenso gemacht. Der Krieg der Worte, um Gewalttätigkeit einzuführen und schrittweise über Adaptionsphasen hinaus zu entwickeln, zu etablieren. Sprache als Mittel von Gewalttätigkeit, das sollte uns als Faktum eigentlich hinlänglich klar sein, auch in deren Wirkungen.

Was ist daraus zu schließen? Bevor wir anderes erreichen wollen, sollten wir das einfachste erreichen, nämlich uns nicht am Krieg der Worte beteiligen, an der öffentlichen Herabwürdigung von Menschen, an den gängigen Haßtiraden. Das gilt auch und besonders gegenüber Andersdenkenden, politischen Opponenten. Daraus folgt unausweichlich: Wer die Vaterländischen via Massenmedien wie Facebook und Twitter beschimpft, betreibt ihr Geschäft und bringt die Neue Rechte auf ihrem Weg in die Zentren der Macht voran.

Durch meine Facebook-Kontakte kommt es manchmal zu merkwürdigen Verknüpfungen und ich stoße auf Botschaften, die einen staunen lassen. So dieser Tage:"Ich bin Österreicher, Steirer, Grazer und Patriot Diesen deutschdümmelnden Patridioten werde ich dieses, mein Land nicht kampflos überlassen".

Da möchte also jemanden den Vaterländischen aus guten Gründen entgegenstehen und tut es ausschließlich aus deren Gründen, denkt in deren Logik, rafft sich in deren Bezugssystem auf, reiht sich also ideologisch selbst bei FPÖ und Identitäten ein. Wie schafft man das?

"Ich bin Österreicher, Steirer, Grazer" hat in einer globalisierten Welt, die von einer massenmediealen Info-Sphäre umspannt ist und den Menschen aus reicheren Ländern einen hohen Grad an persönlicher Mobilität erlaubt, recht wenig Aussagekraft, wenn man nach Identitätsbildenen Eigenschaften fragt. Was genau macht einen da denn zum "Österreicher, Steirer, Grazer", wenn man nichtgerade nach Verwaltungskriterien fragt? Das sind Denkschemata des Nationalismus, wonach Geburt (Blut) und Geburtsort etwas Prägendes haben sollen.

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Was ist heute ein Patriot und was macht ihn aus? Patria = Vaterland. Das sind völlig veraltete politische und kulturelle Kategorien, mit denen sich in der Gegenwart nichts mehr erklären läßt. Und "dieses, mein Land"? Tja, wenn das nicht paßgenau den Posen der Vaterländischen entspricht, habe ich irgendwas verschlafen. Dazu natürlich auch die martialische Pose, der "soldatische Mann" des 19. Jahrhunderts, wie er sein Vaterland (Patria) als Patriot kämpfend... ja, was eigentlich? Ah ja, es jemandem "nicht kampflos überlassen" möchte.

Wie sähe nun dieser Kampf aus? Müßte man das Zustechen eines messerscharfen Verstandes fürchten? Würde einem beißender Spott Wunden schlagen? Oder müßte letztlich doch nach einem Schnellfeuergewehr gegriffen werden?

Ich wünschte, es würden in diesem Land mehr Menschen im 21. Jahrhundert ankommen, was das Denken und kulturelle wie politische Konzepte angeht. Solange wir Denkfiguren und Konzepte des 19. Jahrhunderts nachbeten, haben die Vaterländischen viel zu gutes gutes Fahrwasser.

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