14. März 2018

Da war er wieder, mitten in Graz. Der 1952er Stadthallensessel von Roland Reiner, den ich zuletzt im Stainzer Kaffee Lex gesehen hatte. Und das passiert, während ich gerade mit Marcel Breuer befaßt bin, während ich über ein Detail an Moholy-Nagy staune, der mir hauptsächlich als Fotokünstler und Filmemacher geläufig war. Dieser dem Bauhaus verbundene Altösterreicher gründete 1938 in Chicago die School of Design. Einer mehr, den die Nazi zum Nachteil Europas vertrieben hatten. (Dagegen war Rainer Hitlers Horden gegenüber ziemlich distanzlos gewesen.)

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Roland Reiners 4/5/4 Stuhl, der Stadthallensessel

Stichwort Bauhaus. Diese Ära einer Institution (1919-1933), da die Kunst in das Alltagsleben eingehen sollte, steht exemplarisch für die europäische Verknüpfung von Kunst und Handwerk, deren Beendigung via Datum wohl den Nazi angerechnet werden darf; sehr zum Vorteil der USA, die damals fliehende europäische Intelligenz gut zu verwerten wußten.

Die Wiener Werkstätten, welche auch der Verbindung von Kunst und Handwerk gewidmet waren, hatten ihre Gründung schon 1903 erlebt und waren 1932 liquidiert worden. Aber nun Breuer, der mit all dem so tiefgreifend verknüpft erscheint. Auf dessen Wassily Stuhl kann man sich auch in Gleisdorf setzen. Dieser Designer ist wie ein Angelpunkt der eingangs angerissenen Themen.

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Marcel Breuers Stuhl B3 („Wassily-Stuhl“), ein Verweis auf Kandisnky
(Foto: 1971markus, Creative Commons)

Diese Zusammenhänge schimmern durch, wenn es jetzt mit "Die Quest" Richtung "Aprilfestival" geht, wobei dort hin eine für mich wichtige Wegmarke im 13. Stockwerk eines Grazer Hochhauses liegt:

Martin Krusche spricht
Ikarus auf Asphalt. Das Rasen. Ein Text.
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Damit bin ich zu Gast beim Kollektiv SPLITTERWERK, wo derlei Zusammenhänge auch sehr ernst genommen werden, bei denen zwischen Dienstleistung und Baukunst zu unterscheiden ist. Soweit diese Kategorien mit ihren Begriffen in der Antike wurzeln, hatte ich bisher nur artes liberales und artes mechanicae im Blick. Beim Wiederlesen von Josef Piepers "Muße und Kult" in einem verstaubten Bändchen, das ich noch aus den 1970er Jahren habe, fand ich einen Begriff, den ich vergessen hatte: Die knechtlichen Künste.

Pieper zitiert Thomas von Aquin aus dessen Kommentar zur "Metaphysik" des Aristoteles: "Einzig jene Künste heißen frei, welche auf das Wissen hingeordnet sind; jene aber, welche hingeordnet sind auf einen durch Tätigkeit zu erreichenden Nutzen, heißen... knechtliche Künste." Das meint die artes serviles.

Dabei bezieht sich Pieper auf die Betrachtung einer "freien Zone geistiger Tätigkeit" und präzisiert, das Wort frei meine hier, daß etwas nicht dem "Soll" eine Funktionserfüllung unterworfen sei. Schon eingangs fragt er nach der Bedeutung des Satzes "Wir arbeiten, um Muße zu haben." Er legt die wörtliche Übersetzung nach: "Wir sind unmüßig, um Muße zu haben."

Die Muße (Otium) ist das Gegenteil von nützlicher Arbeit, also Nicht-Muße (Negotium). Dieses Unmüßig sein erläutert Pieper als das griechische Wort "für die Geschäftigkeit des Werktages": nicht bloße Unrast, sondern "werktägliches Tun". Heute würden wir vielleicht sagen: seinen Job machen. Dazu kommt alles, was die Alltagsbewältigung verlangt. Das ist ein Fundament, um dann Muße zu haben, als von Notwendigem freigestellt zu sein.

Was ich ebenso vergessen hatte: das altgriechische Wort für Muße, entsprechend dem lateinischen Otium, ist... Schule. Gemessen an dem, was die kulturellen Wurzeln des Abendlandes als Schule ausweisen, sind Schulen, wie sie die meisten von uns erlebt haben, eher eine Art von Kadettenanstalten, Stätten der Zurichtung.

Rund um 1920 hat sich die Industrielle Revolution mit verschiedenen Bereichen des Handwerks und der Künste intensiv verschränkt. Carroll Gantz nannte das in seinem Buch „The Industrialization of Design“ per eigenem Kapitel „1918-1927: Modern Design Takes Root“. Es erscheint mir hilfreich, diese Ära wenigstens flüchtig zu kennen, wenn man die Umbrüche begreifen möchte, in denen die Pop Art auf die Klassische Moderne folgte.

Damit wurden wir dann von einer Massenkultur in die Welt geschwemmt, welche uns als Popkultur vertraut ist und die in meinen Kindertagen als ein Imperium von "Schmutz und Schund" denunziert wurde; in meinem Fall ausgerechnet von Leuten, die Readers Digest abonniert hatten und damals gerade noch in Kategorien wie "entartete Kunst" dachten.

-- [Die Quest III] --

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