5. April 2018

Ich befasse mich derzeit wieder intensiver mit Europas Mythologie. Das handelt dann auch von den Umbrüchen, als der Logos dem Mythos gegenübertrat. Das handelt vom Reüssieren monotheistischer Religionen, wodurch der Himmel plötzlich grundlegend anders bevölkert war als davor.

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Miguel Ángel Ruiz: „La estatua Accidente aéreo“
(Foto: Discasto, Creative Commons)

Wenn sich derzeit politisches Personal vor allem damit hervortut, das „Christliche Abendland" zu betonen, komme ich ins Kopfschütteln. Es scheint, als hätten diese Leute keinen Tau von vorchristlichen Mythen. Ein Teil dieser kulturgeschichtlichen Geisterfahrer werfen neuerdings auch wieder verstärkt die Scheinfrage auf: „Gehört der Islam zu Europa?"

Ich nenne es deshalb eine Scheinfrage, weil sie selbst keinen Sinn ergibt, also auch keine sinnvollen Antworten möglich macht. Islam ist der Überbegriff für eine breite Vielfalt an kulturellen Wegen, die sich auf Allah beziehen. Von einigen dieser Wege hat Europa absolut unverzichtbare kulturelle Impulse erhalten, die in unseren Fundamenten bedeutend sind. Anderes muß zurückgewiesen werden, ist ohne ausreichendes Gewicht, um auch nur irgendeinen Anspruch zu rechtfertigen.

Wer aber Europas Geschichte kennt, dem sind überdies viele Beispiele aus anderen Denkschulen geläufig, so aus verschiedenen Glaubensgemeinschaften, die den Kontinent kulturell geprägt haben. Darunter ist selbst in seinen schlimmsten Varianten ein islamisch begründete Fehlverhalten keineswegs dominant.

Es stört mich demnach sehr, wenn ich dieses Getöse höre, diese Wichtigtuerei sehe, mit der sich allerhand politische Lichtgestalten auf diversen Bühnen für die kulturellen Wurzeln Europas produzieren, dabei die Federn spreizt, mir viel Halbgares dahererzählen.

Ich vermisse dabei inzwischen auffallend oft klare Positionen Kulturschaffender, unter denen anscheinend auch nicht gar zu viele sind, denen ihr Metier geläufig ist, die wenigstens einige jener Hintergründe interessant finden, an denen deutlich wird, was Europa kulturell bedeutet.

Aber es ist ebenso sinnlos wie langweilig, das zu beklagen, zumal mit Mitteln der Kunst darauf zu reagieren wäre, also zum Beispiel mit dem Erzählen in Sprache und Bildern. Das ist einer der Gründe, warum ich gerade in der Griechischen Antike herumdümple, um verwegenen Menschen auf die Stirnen und den Göttern auf die Füße zu schauen.

Ikarus ist mein aktueller Angelpunkt. Wir wissen annähernd nichts über ihn oder seine Mutter, wir wissen ein wenig über seinen Vater. Ein ursprünglich bedeutender Künstler und Handwerker von bescheidenem Ethos, dem letztlich vieles, fast alles schief ging.

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Motti Mizrachi: „Icarus“ (Foto: Avishai Teicher, Creative Commons)

Daidalos/Daedalus, der Einfallsreiche, das irdische Gegenstück zu Hephaistos, dem göttlichen Schmied, Sohn von Hera und Zeus. Allesamt Charaktere, wie sie im christlichen Himmel undenkbar sind. Also wohin mit all den Schäbigkeiten, von denen wir wissen? Was damit anfangen? Ich habe übrigens nicht den Eindruck, daß die christliche Buße eine Katharsis voraussetzt oder bewirken soll. Das meint die Reinigung des Menschen, was seine Auffassung betrifft.

Das griechische Wort für Buße, metanoia, bezeichnete noch ein Überdenken und Umdenken, also einen Sinneswandel. In der katholischen Tradition wurde das geschmeidig zu einem Bestrafen. (Ich will behaupten, der sich besinnende Mensch hat eine fundamental andere Haltung als der, an dem eben Strafe vollzogen wurde.)

Was für ein kategorialer Unterschied! Hier die Einladung zur Reflexion und zum Umdenken, wie es auch die Griechische Tragödie empfiehlt. Dabei wird es jedem Menschen vollkommen freigestellt, was er daraus schließt. Es gibt kein Tribunal. Da aber dann das Büßen als Strafsache mit dem speziellen Fokus auf die Wiederherstellung einer guten Beziehung mit dem brüskierten Gott. Der Paradigmenwechsel ist radikal gewesen. Zu Ikarus und Daedalus siehe übrigens: "Mit Ikarus im Lift" (Was sich hätte zutragen können)

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